Nichtbeförderung liegt vor, falls Fluggast vom Veranstalter einer Pauschalreise unzutreffend mitgeteilt wird, Flug werde nicht durchgeführt.
Leitsatz der Kanzlei Woicke
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)
17. Oktober 2024(*)
„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Pauschalreise – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 3 Abs. 6 – Richtlinie (EU) 2015/2302 – Art. 14 Abs. 5 – Kumulative Anwendung – Grenzen – Verordnung Nr. 261/2004 – Art. 3 Abs. 2 – Art. 4 Abs. 3 – Ausgleichsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung – Fluggäste, die im Voraus über die Nichtbeförderung unterrichtet wurden – Falsche Information – Reiseunternehmen, das die Fluggäste auf einen anderen Flug umbucht – Flug, der gleichwohl vom ausführenden Luftfahrtunternehmen wie ursprünglich geplant durchgeführt wird – Dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegende Pflicht zur Ausgleichsleistung – Art. 13 – Möglichkeit, vom Reiseunternehmen Schadensersatz zu verlangen “
In den verbundenen Rechtssachen C‑650/23 [Hembesler](i) und C‑705/23 [Condor Flugdienst],
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landesgericht Korneuburg (Österreich) (C‑650/23) und vom Landgericht Düsseldorf (Deutschland) (C‑705/23) mit Entscheidungen vom 22. August 2023 und vom 2. November 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Oktober 2023 und am 17. November 2023, in den Verfahren
E EAD
gegen
DW (C‑650/23)
und
Flightright GmbH
gegen
Condor Flugdienst GmbH (C‑705/23)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Neunten Kammer N. Jääskinen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer, des Richters M. Gavalec (Berichterstatter) und der Richterin I. Ziemele,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der E EAD, vertreten durch Rechtsanwalt G. Dirnberger,
– von DW, vertreten durch Rechtsanwalt A. Skribe,
– der Flightright GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte M. Michel und R. Weist,
– der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und G. Kunnert als Bevollmächtigte,
– der ungarischen Regierung, vertreten durch D. Csoknyai und M. Z. Fehér als Bevollmächtigte,
– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch B.‑R. Killmann und N. Yerrell als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssachen zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Buchst. j, Art. 4 und Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
2 Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen E EAD (im Folgenden: E), einem Luftfahrtunternehmen, und einem Fluggast (Rechtssache C‑650/23) sowie zwischen der Flightright GmbH, einer Gesellschaft für Rechtshilfe, an die zwei Fluggäste ihre etwaigen Ansprüche auf Ausgleichsleistungen abgetreten haben, und der Condor Flugdienst GmbH (im Folgenden: Condor), einem Luftfahrtunternehmen (Rechtssache C‑705/23), betreffend die an diese Fluggäste zu zahlenden Ausgleichsleistungen im Sinne der Verordnung Nr. 261/2004.
Rechtlicher Rahmen
Verordnung Nr. 261/2004
3 Im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:
„Die Maßnahmen der [Europäischen] Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.“
4 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 261/2004 sieht vor:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
b) ‚ausführendes Luftfahrtunternehmen‘ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt;
…
d) ‚Reiseunternehmen‘ einen Veranstalter im Sinne von Artikel 2 Nummer 2 der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen [(ABl. 1990, L 158, S. 59)], mit Ausnahme von Luftfahrtunternehmen;
…
g) ‚Buchung‘ den Umstand, dass der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde;
…
j) ‚Nichtbeförderung‘ die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen;
…
l) ‚Annullierung‘ die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war.“
5 Art. 3 („Anwendungsbereich“) der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt:
„(1) Diese Verordnung gilt
a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten;
…
(2) Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste
a) über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall einer Annullierung gemäß Artikel 5 – sich
– wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden
oder, falls keine Zeit angegeben wurde,
– spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden oder
b) von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür.
…
(6) Diese Verordnung lässt die aufgrund der Richtlinie [90/314] bestehenden Fluggastrechte unberührt. Diese Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird.“
6 Art. 4 („Nichtbeförderung“) Abs. 3 der Verordnung lautet:
„Wird Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert, so erbringt das ausführende Luftfahrtunternehmen diesen unverzüglich die Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 und die Unterstützungsleistungen gemäß den Artikeln 8 und 9.“
7 Art. 5 („Annullierung“) Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 sieht vor:
„Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen
…
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.“
8 Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:
„Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
a) 250 [Euro] bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
b) 400 [Euro] bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
…“
9 Art. 13 („Regressansprüche“) dieser Verordnung sieht vor:
„In Fällen, in denen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung leistet oder die sonstigen sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen erfüllt, kann keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht des Luftfahrtunternehmens beschränkt, nach geltendem Recht bei anderen Personen, auch Dritten, Regress zu nehmen. Insbesondere beschränkt diese Verordnung in keiner Weise das Recht des ausführenden Luftfahrtunternehmens, Erstattung von einem Reiseunternehmen oder einer anderen Person zu verlangen, mit der es in einer Vertragsbeziehung steht. Gleichfalls kann keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht eines Reiseunternehmens oder eines nicht zu den Fluggästen zählenden Dritten, mit dem das ausführende Luftfahrtunternehmen in einer Vertragsbeziehung steht, beschränkt, vom ausführenden Luftfahrtunternehmen gemäß den anwendbaren einschlägigen Rechtsvorschriften eine Erstattung oder Entschädigung zu verlangen.“
Richtlinie 2015/2302
10 Die Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. 2015, L 326, S. 1) definiert in ihrem Art. 3 Nr. 8 den „Reiseveranstalter“ als „einen Unternehmer, der entweder direkt oder über einen anderen Unternehmer oder gemeinsam mit einem anderen Unternehmer Pauschalreisen zusammenstellt und verkauft oder zum Verkauf anbietet, oder den Unternehmer, der die Daten des Reisenden im Einklang mit Nummer 2 Buchstabe b Ziffer v an einen anderen Unternehmer übermittelt“.
11 Art. 14 Abs. 5 dieser Richtlinie bestimmt:
„Das Recht auf Schadenersatz oder Preisminderung nach Maßgabe dieser Richtlinie lässt die Rechte von Reisenden nach der Verordnung [Nr. 261/2004] … und nach Maßgabe internationaler Übereinkünfte unberührt. Die Reisenden sind berechtigt, Forderungen nach dieser Richtlinie und den genannten Verordnungen und nach internationalen Übereinkünften geltend zu machen. Die nach dieser Richtlinie gewährte Schadenersatzzahlung oder Preisminderung wird von der nach Maßgabe der genannten Verordnungen und nach internationalen Übereinkünften gewährten Schadenersatzzahlung oder Preisminderung abgezogen und umgekehrt, um eine Überkompensation zu verhindern.“
12 Gemäß Art. 29 dieser Richtlinie gelten Bezugnahmen auf die Richtlinie 90/314, die durch die Richtlinie 2015/2302 aufgehoben wurde, als Bezugnahmen auf die letztgenannte Richtlinie.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C‑650/23
13 Einem Fluggast, DW, wurde die Buchung seines (Rück‑)Fluges von Heraklion (Griechenland) nach Linz (Österreich) von dem Reiseunternehmen, bei dem er eine Pauschalreise gebucht hatte, bestätigt. Dieser von E durchzuführende Rückflug war für den 29. September 2019 vorgesehen und hätte um 18 Uhr in Heraklion starten und um 20 Uhr in Linz ankommen sollen (im Folgenden: ursprünglich geplanter Rückflug).
14 Am 28. September 2019 teilte der Reiseveranstalter diesem Fluggast mit, dass sich die Flugzeiten und der Zielflughafen seines Rückflugs geändert hätten. Gemäß dieser Mitteilung war Endziel dieses Fluges nun Wien-Schwechat (Österreich) und der Abflug sollte am 29. September 2019 um 23.30 Uhr erfolgen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass diese Mitteilung durch irgendein Verhalten von E veranlasst wurde.
15 E, ein Mitglied der International Air Transport Association (IATA), ist ein Charterunternehmen und führt als solches selbst keine Flugbuchungen durch. Rund 24 Stunden vor Abflug erhielt E eine Passagierliste mit den Vor- und den Nachnamen aller zu befördernden Passagiere; weitere Kontaktdaten wurden ihr vom Reiseveranstalter nicht zur Verfügung gestellt. Auf dieser Liste war der Name von DW nicht enthalten.
16 Aufgrund der Mitteilung vom 28. September 2019 fand sich DW nicht zur Abfertigung des ursprünglich geplanten Rückflugs ein.
17 DW verlangte von E Schadensersatz in Höhe von 400 Euro zuzüglich Zinsen und stützte sich dabei auf Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004. Da der Reiseveranstalter im Namen des Luftfahrtunternehmens einen Flugschein ausstellen dürfe, gelte zwangsläufig dasselbe für alle späteren Änderungen seiner Buchung. Insoweit könne ihm nicht vorgeworfen werden, dass er sich nicht zur Abfertigung des ursprünglich geplanten Rückflugs eingefunden habe, da ihm seine Umbuchung auf einen anderen Flug mitgeteilt worden sei. Ihm sei daher gegen seinen Willen der Einstieg ab dem Zeitpunkt der Umbuchung verweigert worden, so dass er einen Anspruch auf Ausgleichsleistung habe.
18 E macht dagegen geltend, der ursprünglich geplante Rückflug sei weitgehend wie geplant durchgeführt worden und der Reiseveranstalter habe DW ohne Absprache mit ihr umgebucht. Diese Umbuchung könne keine dem Luftfahrtunternehmen zurechenbare Nichtbeförderung begründen. DW könne auch keinen Ausgleichsanspruch geltend machen, da er sich nicht rechtzeitig zur Abfertigung eingefunden habe. Da er über eine bestätigte Buchung für den ursprünglich geplanten Flug verfügt habe, wäre er bei rechtzeitigem Erscheinen am Flugsteig trotz der Umbuchung befördert worden.
19 Mit Urteil vom 27. März 2023 verurteilte das Bezirksgericht Schwechat (Österreich) E zur Zahlung von 400 Euro zuzüglich Zinsen an DW sowie zum Ersatz seiner Prozesskosten. Die Umbuchung sei E zuzurechnen, ohne dass es darauf ankomme, ob das Luftfahrtunternehmen oder der Reiseveranstalter die Umbuchung vorgenommen habe. Die Tatsache, dass DW, der vom Reiseveranstalter über die Umbuchung auf einen anderen Flug informiert worden sei, sich nicht rechtzeitig zur Abfertigung eingefunden habe, sei unschädlich für seinen auf Nichtbeförderung gestützten Anspruch auf Ausgleichsleistung. Insoweit sei es nicht relevant, ob E mit DW in einer direkten Vertragsbeziehung stehe oder ob sie selbständig Passagiere umbuchen oder Flugtickets ausstellen könne, weil sie nach Art. 13 der Verordnung Nr. 261/2004 u. a. beim Reiseveranstalter Regress nehmen könne. Schließlich wies das Bezirksgericht darauf hin, dass das Luftfahrtunternehmen nicht behauptet habe, dass „vertretbare Gründe für die Nichtbeförderung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j dieser Verordnung gegeben gewesen seien.
20 E legte gegen dieses Urteil Berufung beim Landesgericht Korneuburg (Österreich), dem vorlegenden Gericht, ein. Sie begründete diese Berufung im Wesentlichen damit, dass eine Nichtbeförderung schon tatbestandsmäßig nicht vorliege und ihr die Umbuchung durch den Reiseveranstalter nicht zurechenbar sei.
21 Nach Auffassung des Landesgerichts ergibt sich aus Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 dieser Verordnung zu leisten hat. Nach ständiger Rechtsprechung des vorlegenden Gerichts sei ein Fluggast bei einer antizipierten Nichtbeförderung, also wenn ihm bereits zuvor – wahrheitsgemäß oder auch nicht – mitgeteilt worden sei, dass er auf dem gebuchten Flug nicht befördert werde oder dieser gar nicht stattfinde, von der Verpflichtung befreit, sich rechtzeitig am Flugsteig einzufinden, sofern er über eine bestätigte Buchung verfüge und keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung vorlägen. Von einem Fluggast könne nicht verlangt werden, dass er zu einem Flug erscheine, auf dem er nicht befördert werde.
22 Aus dem Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a. (C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 47 ff.), ergebe sich, dass ein Fluggast über eine „bestätigte Buchung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 verfüge, wenn er von dem Reiseunternehmen, mit dem er in einer Vertragsbeziehung stehe, einen „anderen Beleg“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g dieser Verordnung erhalten habe, durch den ihm die Beförderung auf einem bestimmten, durch Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer individualisierten Flug versprochen werde; dies gelte auch dann, wenn das Reiseunternehmen vom betreffenden Luftfahrtunternehmen keine Bestätigung in Bezug auf die Abflug- und Ankunftszeit dieses Fluges erhalten habe. Das Risiko, dass Reiseunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeiten den Fluggästen ungenaue Auskünfte erteilen, sei nämlich vom Luftfahrtunternehmen zu tragen. Das vorlegende Gericht möchte jedoch wissen, ob dieser Ansatz, dem Luftfahrtunternehmen die Verantwortung für Handlungen des Reiseveranstalters aufzuerlegen, auch Anwendung findet, wenn – wie im vorliegenden Fall – der keinen Weisungen des Luftfahrtunternehmens unterliegende Reiseveranstalter eine von ihm selbst vorgenommene Buchung ändert.
23 Unter diesen Umständen hat das Landesgericht Korneuburg beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind Art. 7 Abs. 1, Art. 4 Abs. 3 und Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast eine Ausgleichsleistung zu erbringen hat, wenn der Fluggast im Rahmen einer Pauschalreise über eine bestätigte Buchung eines Reiseunternehmens über Hin- und Rückflug verfügt; dieses Reiseunternehmen dem Fluggast am Vortag des geplanten (Rück‑)Fluges mitgeteilt hat, dass sich der Flugplan durch einen Wechsel der Flugnummer, der Flugzeit und des Endziels geändert habe; der Fluggast sich daher für den ursprünglich gebuchten Flug nicht unter den in Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat; der ursprünglich gebuchte Flug aber tatsächlich wie geplant durchgeführt wird; und das Luftfahrtunternehmen den Fluggast auch befördert hätte, wenn dieser sich unter den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hätte?
Rechtssache C‑705/23
24 Zwei Fluggäste hatten über einen Reiseveranstalter eine Pauschalreise für den Zeitraum vom 18. Juli 2020 bis 30. Juli 2020 gebucht. Teil dieser Reise waren die von Condor durchzuführenden Hin- und Rückflüge zwischen Düsseldorf (Deutschland) und Fuerteventura (Spanien).
25 Der Reiseveranstalter teilte diesen beiden Fluggästen mit, dass der Hinflug storniert worden sei und sie auf einen Flug am 20. Juli 2020 umgebucht würden. Aufgrund dieser Information erschienen die Fluggäste am 18. Juli 2020 nicht am Flughafen, sondern fanden sich dort erst am 20. Juli 2020 ein. Sie behaupten außerdem, dass der Reiseveranstalter sie hierüber erst acht Tage vor dem Datum des Hinflugs informiert habe.
26 Condor tritt dieser Sachverhaltsdarstellung entgegen und weist darauf hin, dass der ursprüngliche Flug vom 18. Juli 2020 ordnungsgemäß durchgeführt worden sei.
27 Die beiden Fluggäste traten ihre Ansprüche an Flightright, eine Gesellschaft für Rechtshilfe, ab; diese erhob Klage vor dem Amtsgericht Düsseldorf (Deutschland) auf Zahlung von Ausgleichsleistungen in Höhe von insgesamt 800 Euro gemäß Art. 4 Abs. 3 und Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit § 398 BGB.
28 Flightright macht geltend, das Verhalten des Reiseveranstalters sei dem Luftfahrtunternehmen zuzurechnen und stelle eine antizipierte Nichtbeförderung dar.
29 Nach Auffassung von Condor liegt dagegen hier kein Fall der Nichtbeförderung vor, da sie den ursprünglichen Flug ordnungsgemäß durchgeführt habe. Eine Nichtbeförderung setze zudem ein Verhalten des Luftfahrtunternehmens voraus. Hier sei die Mitteilung über die Änderung des Termins für den Hinflug jedoch durch den Reiseveranstalter erfolgt.
30 Gegen das klageabweisende Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 3. November 2022 legte Flightright beim Landgericht Düsseldorf (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein.
31 Nach Auffassung des Landgerichts stellt sich in der vorliegenden Rechtssache die neue Frage, ob es sich bei einer vom Reiseveranstalter ausgesprochenen antizipierten Nichtbeförderung um eine „Nichtbeförderung“ im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 handelt, wobei keine Rechtfertigungsgründe für die Nichtbeförderung im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 ersichtlich seien. Überdies sei gemäß dem Urteil vom 26. Oktober 2023, LATAM Airlines Group (C‑238/22, EU:C:2023:815, Rn. 40 ff.), eine analoge Anwendung von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i bis iii dieser Verordnung, der die Annullierung von Flügen betrifft, im Rahmen von Ansprüchen wegen Nichtbeförderung ausgeschlossen; einer Klärung der Frage, ob die beiden betroffenen Fluggäste bereits früher als acht Tage vor dem Flugdatum über die Umbuchung informiert wurden, bedürfe es nicht.
32 Außerdem schließt das vorlegende Gericht aus dem Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a. (C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038), dass die beiden Fluggäste unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits über eine „bestätigte Buchung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 verfügten.
33 Eine vom Reiseveranstalter mittels Umbuchungs- oder Stornierungsinformation mitgeteilte antizipierte Nichtbeförderung kann nach Auffassung des vorlegenden Gerichts eine „Nichtbeförderung“ im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 darstellen. Hierfür könne sprechen, dass anders als in der spanischen und der französischen Sprachfassung dieser Bestimmung, in denen die ausführende Fluggesellschaft ausdrücklich als diejenige genannt werde, die sich weigere, Fluggäste an Bord zu nehmen, zahlreiche andere Sprachfassungen (etwa die dänische, die deutsche, die englische, die italienische, die niederländische, die portugiesische und die schwedische) offenließen, durch wen die Verweigerung erfolge.
34 Zudem komme für den Fluggast, der der Umbuchung nicht zugestimmt habe, eine solche Umbuchung einer Nichtbeförderung auf dem ursprünglich vorgesehenen Flug gleich. Daher könne es erforderlich sein, die Umbuchung in den Tatbestand der Nichtbeförderung einzubeziehen, um den Pauschalfluggast davor zu schützen, dass ihm der Schutz der Verordnung Nr. 261/2004 entzogen werde.
35 Schließlich ergebe sich aus dem Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a. (C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 46 bis 51), dass eine „bestätigte Buchung“ im Sinne von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 vom Reiseveranstalter herausgegeben werden könne, und zwar selbst dann, wenn das Luftfahrtunternehmen die betreffenden Flugzeiten nicht gegenüber dem Reiseveranstalter bestätigt habe, es also an einer „Deckungsbuchung“ fehle. Diese Verordnung ziele nämlich darauf ab, das Risiko, dass Reiseunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeiten den Fluggästen ungenaue Auskünfte erteilen, dem Luftfahrtunternehmen aufzuerlegen. Unter diesem Blickwinkel habe der Fluggast nicht Teil an der zwischen dem Luftfahrtunternehmen und dem Reiseunternehmen bestehenden Beziehung, und es werde von ihm nicht verlangt, dass er sich insoweit Informationen beschaffe.
36 Für das vorlegende Gericht ist die Auslegung in diesem Urteil auf eine vom Reiseveranstalter wegen einer „Flugstornierung“ vorgenommenen Umbuchung des Fluggasts übertragbar.
37 Unter diesen Umständen hat das Landgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Ist Art. 4 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass eine Nichtbeförderung des Fluggasts durch das Luftfahrtunternehmen in Form einer antizipierten Beförderungsverweigerung auch dann vorliegt, wenn ein Reiseveranstalter den Fluggast mittels Umbuchungsmitteilung darüber informiert, dass der Flug storniert worden sei, eine Annullierung des Fluges durch das Luftfahrtunternehmen jedoch gar nicht stattgefunden hat und der Flug auch tatsächlich ordnungsgemäß durchgeführt wird?
Zu den Vorlagefragen
38 Die vorlegenden Gerichte wollen mit ihren Fragen, die zusammen zu prüfen sind, im Wesentlichen jeweils wissen, ob Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast, der im Rahmen einer Pauschalreise eine bestätigte Buchung für einen Flug hatte, vom ausführenden Luftfahrtunternehmen die Ausgleichsleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung verlangen kann, wenn der Reiseveranstalter dem Fluggast – ohne zuvor das Luftfahrtunternehmen hierüber zu informieren – mitgeteilt hat, dass der ursprünglich vorgesehene Flug nicht durchgeführt werde, obwohl dieser wie vorgesehen stattfand.
39 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass erstens die Fluggäste im Rahmen einer Pauschalreise berechtigt sind, sich auf die Verordnung Nr. 261/2004 zu berufen. Denn ihr rechtlicher Schutz kann nicht ausschließlich durch die Richtlinie 2015/2302 gewährleistet werden (vgl. Urteil vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia, C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 35). Vor diesem Hintergrund bestimmt Art. 3 Abs. 6 dieser Verordnung, dass diese „Verordnung … die aufgrund der [durch die Richtlinie 2015/2302 ersetzten] Richtlinie [90/314] bestehenden Fluggastrechte unberührt [lässt]“. Spiegelbildlich dazu bestätigt Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2015/2302 ausdrücklich, dass der Schadensersatz oder die Preisminderung nach Maßgabe dieser Richtlinie und der Schadensersatz oder die Preisminderung nach Maßgabe u. a. der Verordnung Nr. 261/2004 miteinander verrechnet werden, um eine Überkompensation zu vermeiden.
40 Somit folgt aus Art. 3 Abs. 6 dieser Verordnung und aus Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2015/2302, dass die jeweiligen Anwendungsbereiche dieser beiden Sekundärrechtsakte sich möglicherweise überschneiden. Dann ist die gleichzeitige Berufung auf diese Bestimmungen dadurch beschränkt, dass sie eine Überkompensation der vom Fluggast erlittenen Schäden verweigern.
41 Zweitens geht aus den zwei Vorabentscheidungsersuchen eindeutig hervor, dass die beiden den Ausgangsrechtsstreitigkeiten zugrunde liegenden Flüge wie vorgesehen durchgeführt wurden. Folglich kann keiner der beiden fraglichen Flüge als annulliert angesehen werden, da Art. 2 Buchst. l der Verordnung Nr. 261/2004 die „Annullierung“ als „die Nichtdurchführung eines geplanten Fluges, für den zumindest ein Platz reserviert war“, definiert. Die von den Reiseveranstaltern an die in den beiden Ausgangsverfahren in Rede stehenden Fluggäste gerichteten Mitteilungen sind daher im Hinblick auf den Begriff „Nichtbeförderung“ im Sinne von Art. 2 Buchst. j dieser Verordnung zu verstehen.
42 Nach dieser Klarstellung ist zu bestimmen, ob zum einen der Begriff „Nichtbeförderung“ auch die antizipierte Nichtbeförderung auf einem Flug umfasst, der gleichwohl durchgeführt wurde, und ob zum anderen das Luftfahrtunternehmen für falsche Informationen betreffend die Verlegung oder Stornierung eines Fluges, die den Fluggästen vom Reiseunternehmen mitgeteilt werden, haftbar gemacht werden kann.
43 Als Erstes ergibt sich aus dem Urteil vom 26. Oktober 2023, LATAM Airlines Group (C‑238/22, EU:C:2023:815, Rn. 39), dass Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit ihrem Art. 2 Buchst. j dahin auszulegen ist, dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, dem Fluggast eine Ausgleichszahlung leisten muss, selbst wenn er sich nicht unter den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat.
44 Der Umstand, dass die Information betreffend die Nichtbeförderung dem Fluggast vorab nicht vom ausführenden Luftfahrtunternehmen, sondern vom Reiseveranstalter mitgeteilt wurde, kann keine andere Auslegung dieser Bestimmungen zur Folge haben.
45 Als Zweites ist der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entnehmen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen für falsche Informationen betreffend die Verlegung oder Stornierung eines Fluges, die den Fluggästen vom Reiseunternehmen mitgeteilt werden, haftbar gemacht werden kann.
46 Erstens unterscheiden nämlich mehrere Bestimmungen der Verordnung Nr. 261/2004 für ihre Anwendung nicht zwischen dem ausführenden Luftfahrtunternehmen und dem Reiseveranstalter. Dies gilt u. a. für Art. 2 Buchst. g dieser Verordnung, der den Begriff „Buchung“ als den Umstand definiert, „dass der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde“. Dies trifft auch für Art. 3 Abs. 2 Buchst. a erster Gedankenstrich der Verordnung zu, wonach die Zeit, zu der sich der Fluggast zur Abfertigung einfinden muss, vom Luftfahrtunternehmen, von einem Reiseunternehmen oder von einem zugelassenen Reisevermittler angegeben werden kann. Auch bei Art. 3 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung, wonach der Fluggast sowohl vom Luftfahrtunternehmen als auch vom Reiseunternehmen auf einen anderen Flug verlegt werden kann, ist dies der Fall (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a., C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 47).
47 Gemäß diesem Urteil können die Fluggäste sich im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 261/2004 unterschiedslos auf die Auskünfte verlassen, die ihnen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen in Bezug auf die Boardingzeit oder ihre Umbuchung erteilt werden.
48 Zweitens trägt eine solche Auslegung dazu bei, wie im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Vor diesem Hintergrund zielt diese Verordnung darauf ab, das Risiko, dass Reiseunternehmen im Rahmen ihrer Tätigkeiten den Fluggästen ungenaue Auskünfte erteilen, dem Luftfahrtunternehmen aufzuerlegen. Da der Fluggast nicht an der zwischen dem Luftfahrtunternehmen und dem Reiseunternehmen bestehenden Beziehung teilhat, kann von ihm nicht verlangt werden, dass er sich insoweit Informationen beschafft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a., C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 48 und 49).
49 Jedenfalls ist darauf hinzuweisen, dass ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das aufgrund eines Verhaltens des Reiseunternehmens den Fluggästen eine Ausgleichszahlung nach der Verordnung Nr. 261/2004 leisten müsste, die Möglichkeit haben kann, gegen das Reiseunternehmen Regressansprüche gemäß Art. 13 der Verordnung zu erheben. Ein solcher Regress kann daher die finanzielle Belastung dieses Beförderungsunternehmens aus dieser Verpflichtung mildern oder sogar beseitigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. Januar 2006, IATA und ELFAA, C‑344/04, EU:C:2006:10, Rn. 90, vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 68, sowie vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a., C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 61).
50 Ferner ist das auf eine entsprechende Anwendung des Urteils vom 4. Juli 2018, Wirth u. a. (C‑532/17, EU:C:2018:527), gestützte Vorbringen von E zurückzuweisen. E macht insoweit geltend, dass ein Charterunternehmen wie sie, genauso wie der Mieter im Fall eines Vertrags über die Vermietung eines Flugzeugs mit Besatzung („wet lease“), keine operationelle Entscheidungsgewalt in Bezug auf die Frage habe, ob, wann und mit welchen Fluggästen der Flug durchgeführt werde.
51 Insoweit genügt der Hinweis, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs bei einem Angebot eines Luftfahrtunternehmens für den Luftverkehr, das dem Angebot entspricht, auf das ein Reiseunternehmen im Rahmen seiner Beziehung zu einem Fluggast zurückgegriffen hat – sei es auch vorbehaltlich etwaiger Änderungen dieses Angebots –, davon auszugehen ist, dass das Luftfahrtunternehmen im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 einen Flug durchzuführen beabsichtigt, so dass es als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a., C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 59 und 62, sowie Beschluss vom 10. März 2023, Eurowings [nicht existenter Flug], C‑607/22, EU:C:2023:201, Rn. 21).
52 Überdies ist das Vorbringen von E in Wirklichkeit darauf gerichtet, dem vom Reiseveranstalter eingesetzten Luftfahrtunternehmen die Eigenschaft als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 abzustreiten. Art. 2 Buchst. d dieser Verordnung definiert das „Reiseunternehmen“ aber als einen Veranstalter im Sinne von Art. 3 Nr. 8 der Richtlinie 2015/2302 „mit Ausnahme von Luftfahrtunternehmen“. Folgte man der Argumentation von E, wäre das paradoxe Ergebnis hiervon, dass ein Charterflug nicht von einem ausführenden Luftfahrtunternehmen erbracht würde, da danach diese Eigenschaft weder dem Charterunternehmen noch dem Reiseunternehmen zuerkannt würde.
53 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 4 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast, der im Rahmen einer Pauschalreise eine bestätigte Buchung für einen Flug hatte, vom ausführenden Luftfahrtunternehmen die Ausgleichsleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung verlangen kann, wenn der Reiseveranstalter dem Fluggast – ohne zuvor das Luftfahrtunternehmen hierüber zu informieren – mitgeteilt hat, dass der ursprünglich vorgesehene Flug nicht durchgeführt werde, obwohl dieser wie vorgesehen stattfand.
Kosten
54 Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
ein Fluggast, der im Rahmen einer Pauschalreise eine bestätigte Buchung für einen Flug hatte, vom ausführenden Luftfahrtunternehmen die Ausgleichsleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung verlangen kann, wenn der Reiseveranstalter dem Fluggast – ohne zuvor das Luftfahrtunternehmen hierüber zu informieren – mitgeteilt hat, dass der ursprünglich vorgesehene Flug nicht durchgeführt werde, obwohl dieser wie vorgesehen stattfand.
Jääskinen
Gavalec
Ziemele
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Oktober 2024.
Der Kanzler
Der Präsident
A. Calot Escobar
K. Lenaerts
* Verfahrenssprache: Deutsch.