EuGH, Urteil v. 6. März 2025, C‑20/24

Bordkarte entspricht regelmäßig Buchungsbestätigung, sofern nicht Gegenteiliges nachgewiesen wird. EU-VO 261/2004 anwendbar, wenn Reiseveranstalter Flugpreis an Airline zahlt. Auch dann, wenn Preis für Pauschalreise von Drittem an Reiseunternehmen gezahlt wird.

Leitsätze der Kanzlei Woicke

In der Rechtssache C‑20/24 [Cymdek](i)

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla m. st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen) mit Entscheidung vom 24. November 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Januar 2024, in dem Verfahren

M1. R.,

M2. R.

gegen

AAA sp. z o.o.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Gavalec (Berichterstatter) sowie der Richter Z. Csehi und F. Schalin,

Generalanwalt: R. Norkus,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von M1. R. und M2. R., vertreten durch P. Mędygrał, Radca prawny,

– der AAA sp. z o.o., vertreten durch K. Bień, Radca prawny,

– der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Sasinowska und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. g sowie Art. 3 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen M1. R. und M2. R., zwei Fluggästen (im Folgenden: im Ausgangsverfahren betroffene Fluggäste), auf der einen Seite und der Gesellschaft AAA sp. z o.o., einem Luftfahrtunternehmen, auf der anderen Seite wegen eines von diesen Fluggästen gestellten und auf die Verordnung Nr. 261/2004 gestützten Antrags auf Ausgleichszahlung nach einer großen Verspätung eines Fluges bei der Ankunft an seinem Endziel.

Rechtlicher Rahmen

3 Die Erwägungsgründe 1 und 5 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:

„(1) Die Maßnahmen der [Europäischen] Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.



(5) Da die Unterscheidung zwischen Linienflugverkehr und Bedarfsflugverkehr an Deutlichkeit verliert, sollte der Schutz sich nicht auf Fluggäste im Linienflugverkehr beschränken, sondern sich auch auf Fluggäste im Bedarfsflugverkehr, einschließlich Flügen im Rahmen von Pauschalreisen, erstrecken.

…“

4 In Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck



f) ‚Flugschein‘ ein gültiges, einen Anspruch auf Beförderungsleistung begründendes Dokument oder eine gleichwertige papierlose, auch elektronisch ausgestellte Berechtigung, das bzw. die von dem Luftfahrtunternehmen oder dessen zugelassenem Vermittler ausgegeben oder genehmigt wurde;

g) ‚Buchung‘ den Umstand, dass der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde;



j) ‚Nichtbeförderung‘ die Weigerung, Fluggäste zu befördern, obwohl sie sich unter den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden haben, sofern keine vertretbaren Gründe für die Nichtbeförderung gegeben sind, z. B. im Zusammenhang mit der Gesundheit oder der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit oder unzureichenden Reiseunterlagen;

…“

5 Art. 3 („Anwendungsbereich“) dieser Verordnung bestimmt:

„(1) Diese Verordnung gilt

a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten;

b) sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.

(2) Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste

a) über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und – außer im Fall einer Annullierung gemäß Artikel 5 – sich

– wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden

oder, falls keine Zeit angegeben wurde,

– spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden oder

b) von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besaßen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür.

(3) Diese Verordnung gilt nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Sie gilt jedoch für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.



(5) Diese Verordnung gilt für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

6 AAA, ein Luftfahrtunternehmen, das Charterflüge anbietet, schloss mit der BBB sp. z o.o., einem Reiseunternehmen, einen Vertrag, in dessen Rahmen AAA für BBB bestimmte Flüge an bestimmten Tagen durchführte, für die BBB anschließend Flugscheine an Fluggäste verkaufte. BBB zahlte das Entgelt für die Flüge an AAA.

7 Die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste nahmen an einer Pauschalreise teil, die auch den Flug von Teneriffa (Spanien) nach Warschau (Polen) am 20. Mai 2021 umfasste, der von AAA durchgeführt wurde. Der Pauschalreisevertrag wurde zwischen der CCC sp. z o.o. zugunsten dieser Fluggäste und BBB geschlossen. Dieser Flug hatte eine Ankunftsverspätung von mehr als 22 Stunden.

8 Zum Nachweis ihrer Aktivlegitimation zur Geltendmachung von Ausgleichsleistungen für die in Rede stehende Flugverspätung legten die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste Kopien der Bordkarten für diesen Flug vor. AAA weigerte sich aber, eine Ausgleichszahlung an diese Fluggäste zu erbringen, da sie nicht nachgewiesen hätten, dass sie über eine bestätigte und bezahlte Buchung für den betreffenden Flug verfügten. Die Pauschalreise dieser Fluggäste sei nämlich von CCC zu Vorzugsbedingungen bezahlt worden, so dass sie kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 gereist seien, was den Ausgleichsanspruch nach dieser Verordnung ausschließe.

9 Die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste sind der Ansicht, dass sie durch die Vorlage der Bordkarten zum Zweck des Erhalts einer solchen Ausgleichszahlung nachgewiesen hätten, dass sie über eine bestätigte Buchung verfügten, da ihnen andernfalls die Bordkarten nicht ausgegeben worden wären. Im Übrigen obliege es AAA, nachzuweisen, dass diese Fluggäste kostenlos gereist seien, und nicht ihnen, nachzuweisen, dass sie den Preis für den von AAA durchgeführten Flug gezahlt hätten. Jedenfalls seien die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste nicht kostenlos gereist, da AAA von BBB eine Zahlung für die Durchführung des Fluges erhalten habe und BBB von CCC, die diesen Fluggästen die Pauschalreise bezahlt habe, für die Pauschalreise, einschließlich Flug, bezahlt worden sei. Insoweit spiele es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 keine Rolle, ob der Flug von den Fluggästen selbst oder von einem Dritten bezahlt worden sei, sofern es sich nicht um das Luftfahrtunternehmen handele.

10 Der Sąd Rejonowy dla m. st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen), das vorlegende Gericht, hat Zweifel, ob die Vorlage einer Bordkarte durch einen Fluggast einen „anderen Beleg“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 261/2004 darstellt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde.

11 Das vorlegende Gericht weist insoweit darauf hin, dass die Erkenntnisse aus dem Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a. (C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038), es nicht ermöglichten, die Frage zu beantworten, ob das Unionsrecht in einer Situation wie der, mit der es befasst sei, die Vorlage eines „anderen Belegs“ im Sinne dieser Bestimmung zulasse, aus dem hervorgehe, dass ein Fluggast über eine bestätigte Buchung für einen Flug verfüge, wenn die von diesem Fluggast vorgelegte Bordkarte nicht alle in diesem Urteil genannten Angaben, wie die Ankunftszeit des Fluges, enthalte.

12 Selbst wenn AAA und einige Spruchkörper polnischer Berufungsgerichte der Ansicht sein sollten, dass die in Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung genannten Voraussetzungen eng auszulegen seien, ist das vorlegende Gericht im Übrigen der Ansicht, dass eine Bordkarte nicht an eine beliebige Person ausgegeben werde, sondern an einen Fluggast, der über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfüge, und zwar nach der Abfertigung dieses Fluggasts für diesen Flug, während der die Flugscheinnummer oder die Buchungsnummer angegeben werden müsse. Abgesehen von bestimmten außergewöhnlichen Fällen gebe es jedoch keine andere rationale Erklärungsmöglichkeit, wie ein solcher Fluggast in den Besitz einer Bordkarte kommen könnte, ohne über eine solche Buchung zu verfügen.

13 Außerdem ist das vorlegende Gericht, anders als AAA und einige Spruchkörper polnischer Berufungsgerichte der Ansicht, dass es Sache des Luftfahrtunternehmens sei, zu beweisen, dass der fragliche Flug kostenlos erfolgt sei, und sich nicht darauf zu beschränken, aus einer bloßen dahin gehenden Behauptung für sich günstige Rechtsfolgen abzuleiten.

14 Im Übrigen fragt sich dieses Gericht, wie die Wendung „kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist“ in Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 auszulegen ist. Es ist der Ansicht, dass im Fall von Pauschalreisen, wenn eine Reise, die dem Reiseunternehmen entweder unmittelbar von den Fluggästen oder in ihrem Namen von einem anderen Unternehmen bezahlt worden sei, einen Flug umfasse, den das Reiseunternehmen dem Luftfahrtunternehmen bezahlt habe, diese Fluggäste nicht „kostenlos“ im Sinne dieser Bestimmung reisten.

15 Was insbesondere den Begriff „reduzierter Tarif“ im Sinne dieser Bestimmung betrifft, fragt sich das vorlegende Gericht, ob er dahin auszulegen ist, dass damit eine Ermäßigung gemeint ist, die das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast anbietet, oder ob diese Bestimmung auch eine Situation erfasst, in der das Luftfahrtunternehmen vom Reiseunternehmen ein markübliches Entgelt erhält, dieses oder ein anderes Unternehmen aber die Fluggäste an der Pauschalreise zu Vorzugsbedingungen teilnehmen lässt. Für dieses Gericht scheint diese letzte Auslegung dem Ziel der Verordnung zuwiderzulaufen und schwerlich anwendbar, weil die entsprechenden Kriterien fehlten, wann von einer Teilnahme an einer Pauschalreise zu Vorzugsbedingungen gesprochen werden könne.

16 Unter diesen Umständen hat der Sąd Rejonowy dla m. st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Kann die Bordkarte eines Fluggasts einen anderen Beleg im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 261/2004 darstellen, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde?

2. Ist Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass Fluggäste, die über eine Bordkarte für den betreffenden Flug verfügen, sofern kein besonderer, außergewöhnlicher Umstand nachgewiesen wird, als Fluggäste anzusehen sind, die über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen?

3. Ist Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass der Fluggast die Beweislast dafür trägt, dass er den Flug bezahlt hat, oder muss gegebenenfalls das Luftfahrtunternehmen nachweisen, dass der Fluggast kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif gereist ist, wenn es sich von seinen Verpflichtungen befreien will?

4. Ist Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass der Flug als entgeltlich gilt, wenn der Fluggast beim Reiseunternehmen eine Pauschalreise erworben hat und dieses Unternehmen dem Luftfahrtunternehmen den Flug bezahlt hat?

5. Ist Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass kein Fall von „Fluggäste(n), die … zu einem reduzierten Tarif reisen“, vorliegt, wenn ein Dritter eine Pauschalreise für die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste erwirbt, in deren Rahmen das Reiseunternehmen ein marktübliches Entgelt an die Charterfluggesellschaft entrichtet, und zwar unabhängig von der Art und Weise der Abrechnung zwischen dem Dritten und den Fluggästen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

17 Mit seiner ersten und seiner zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Buchst. g und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass eine Bordkarte einen „anderen Beleg“ im Sinne der erstgenannten Bestimmung darstellen kann, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde, so dass davon auszugehen ist, dass ein Fluggast, der über eine Bordkarte verfügt, eine „bestätigte Buchung“ im Sinne der letztgenannten Bestimmung für den betreffenden Flug hat, wenn kein besonderer, außergewöhnlicher Umstand nachgewiesen wird.

18 Nach Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 gilt diese Verordnung nur unter der Bedingung, dass erstens die Fluggäste über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und sich zweitens – außer im Fall einer Annullierung des geplanten Fluges gemäß Art. 5 der Verordnung – rechtzeitig zur Abfertigung einfinden. Da die beiden Voraussetzungen kumulativ sind, kann das Sich-Einfinden eines Fluggasts zur Abfertigung nicht aufgrund dessen vermutet werden, dass er über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Januar 2024, Laudamotion [Verzicht auf einen verspäteten Flug], C‑474/22, EU:C:2024:73, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19 In der Verordnung Nr. 261/2004 wird der Begriff „bestätigte Buchung“ nicht definiert. Der Begriff „Buchung“ wird hingegen in Art. 2 Buchst. g der Verordnung definiert als der „Umstand, dass der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde“. Ferner umfasst der Begriff „Flugschein“ im Sinne von Art. 2 Buchst. f dieser Verordnung alles Gegenständliche oder Papierlose, das einen Anspruch des Fluggasts auf Beförderungsleistung begründet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2022, flightright [Luftbeförderung von Stuttgart nach Kansas City], C‑436/21, EU:C:2022:762, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a., C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 40).

20 Was im Übrigen den Begriff „anderer Beleg“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 261/2004 betrifft, kommt, wenn der Fluggast über diesen vom Luftfahrtunternehmen oder vom Reiseunternehmen ausgestellten Beleg verfügt, dieser andere Beleg einer „Buchung“ im Sinne dieser Bestimmung gleich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a., C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038, Rn. 42).

21 Diese Begriffe sind im Interesse des im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 angeführten hohen Schutzniveaus für Fluggäste weit auszulegen (Urteil vom 6. Oktober 2022, flightright [Luftbeförderung von Stuttgart nach Kansas City], C‑436/21, EU:C:2022:762, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22 Im vorliegenden Fall geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste über vom Luftfahrtunternehmen ausgegebene Bordkarten verfügten, was es ihnen ermöglichte, einen von dieser Fluggesellschaft durchgeführten Flug von Teneriffa nach Warschau zurückzulegen, indem sie sich zuvor zur Abfertigung einfanden.

23 Wie die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste, die polnische Regierung und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen geltend gemacht haben, wird einem Fluggast für einen bestimmten Flug eine Bordkarte ausgegeben, die seinen Anspruch auf Beförderungsleistung begründet und ihn berechtigt, in das Flugzeug einzusteigen und den Flug anzutreten, sobald die Abfertigung des Fluggasts, u. a. durch Angabe der Flugscheinnummer oder der Buchungsnummer, durchgeführt wurde.

24 Daraus folgt, dass eine Bordkarte einen „anderen Beleg“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 261/2004 darstellen kann, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen für den betreffenden Flug akzeptiert und registriert wurde.

25 Diese Schlussfolgerung kann nicht durch den vom vorlegenden Gericht angeführten Umstand entkräftet werden, dass das Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a. (C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038), es nicht ermögliche, die Frage zu beantworten, ob eine Bordkarte unter den Begriff „anderer Beleg“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung Nr. 261/2004 fallen könne, da die Bordkarte nicht alle in diesem Urteil genannten Angaben, wie insbesondere die Ankunftszeit des Fluges, enthalte.

26 Zwar hat der Gerichtshof in Rn. 51 dieses Urteils für Recht erkannt, dass Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass der Fluggast über eine „bestätigte Buchung“ im Sinne dieser Bestimmung verfügt, wenn er von dem Reiseunternehmen, mit dem er in einer Vertragsbeziehung steht, einen „anderen Beleg“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung erhalten hat, durch den ihm die Beförderung auf einem bestimmten, durch Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer individualisierten Flug versprochen wird; dies gilt auch dann, wenn das Reiseunternehmen von dem betreffenden Luftfahrtunternehmen keine Bestätigung in Bezug auf die Abflug- und Ankunftszeit dieses Fluges erhalten hat.

27 Anders als in der vorliegenden Rechtssache hatte das Reiseunternehmen in den Rechtssachen, in denen das Urteil vom 21. Dezember 2021, Azurair u. a. (C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20, EU:C:2021:1038), ergangen ist, den Fluggästen jedoch andere Informationen über die Abflug- und Ankunftszeiten der Flüge übermittelt als die, die das Luftfahrtunternehmen dem Reiseunternehmen zuletzt übermittelt hatte, wobei die letztgenannten Informationen den Fluggästen nicht übermittelt wurden, so dass sie nur über die Informationen in dem vom Reiseunternehmen übermittelten Dokument verfügten.

28 Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass, sofern ein bestimmtes Luftfahrtunternehmen die Fluggäste, die über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen, an Bord nimmt und sie an ihren Zielort bringt, davon auszugehen ist, dass sie dem Erfordernis, sich vor dem Flug zur Abfertigung einzufinden, nachgekommen sind (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 24. Oktober 2019, easyJet Airline, C‑756/18, EU:C:2019:902, Rn. 28).

29 Umgekehrt ist, soweit Fluggäste wie die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste dem Erfordernis, sich zur Abfertigung einzufinden, ordnungsgemäß nachgekommen sind und den betreffenden Flug mit einer Bordkarte für diesen Flug zurückgelegt haben, davon auszugehen, dass sie dem Erfordernis, über eine bestätigte Buchung für diesen Flug zu verfügen, nachgekommen sind.

30 Dieses Ergebnis wird durch das im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 genannte Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, bestätigt.

31 Tatsächlich haben die Fluggäste, deren Flug eine große Verspätung hatte, so die Möglichkeit, ihren Anspruch auf Ausgleichszahlung geltend zu machen, ohne der der Situation unangemessenen Anforderung zu unterliegen, nachträglich bei Stellung ihres Antrags auf die Ausgleichszahlung nachzuweisen, dass sie über eine bestätigte Buchung für den verspäteten Flug verfügten, mit dem sie jedenfalls befördert wurden (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 24. Oktober 2019, easyJet Airline, C‑756/18, EU:C:2019:902, Rn. 32).

32 Insoweit genügt zu dem von AAA angeführten Fall, dass eine Bordkarte bei Verlust durch eine Person, die Inhaberin dieser Karte ist, von einer anderen Person mit ähnlichen Angaben verwendet werden könnte, die Feststellung, dass, wie aus Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004 hervorgeht, diese es dem Luftfahrtunternehmen erlaubt, die Beförderung u. a. wegen unzureichender Reiseunterlagen zu verweigern.

33 Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. g und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass eine Bordkarte einen „anderen Beleg“ im Sinne der erstgenannten Bestimmung darstellen kann, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde, so dass davon auszugehen ist, dass ein Fluggast, der über eine Bordkarte verfügt, eine „bestätigte Buchung“ im Sinne der letztgenannten Bestimmung für den betreffenden Flug hat, wenn kein besonderer, außergewöhnlicher Umstand nachgewiesen wird.

Zur den Fragen 3 bis 5

34 Mit seiner dritten bis fünften Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast nicht als im Sinne dieser Bestimmung kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, reisend gilt, wenn zum einen das Reiseunternehmen den Flugpreis an das ausführende Luftfahrtunternehmen zu marktüblichen Bedingungen zahlt und zum anderen der Preis für die Pauschalreise nicht vom Fluggast, sondern von einem Dritten an das Reiseunternehmen gezahlt wird. Das vorlegende Gericht möchte auch wissen, ob das Luftfahrtunternehmen beweisen muss, dass der Fluggast kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif gereist ist, oder ob es dem Fluggast obliegt, zu beweisen, dass er den Flug bezahlt hat.

35 Nach Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 gilt diese Verordnung nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist.

36 Hierzu ist festzustellen, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Unanwendbarkeit dieser Verordnung eine Ausnahme von der Regel darstellt, dass die Verordnung, wie sich aus ihrem Art. 3 Abs. 1 ergibt, zum einen für Fluggäste gilt, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten, und zum anderen, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein in der Europäischen Union niedergelassenes Luftfahrtunternehmen ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat nach den in Art. 3 Abs. 2 dieser Verordnung genannten Bedingungen Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.

37 Wie der Gerichtshof entschieden hat, ist allerdings in Anbetracht des Ziels der Verordnung Nr. 261/2004, das nach ihrem ersten Erwägungsgrund darin besteht, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, eine Ausnahme von den Bestimmungen, die Fluggästen Rechte gewähren, eng auszulegen (Urteil vom 16. Januar 2025, Qatar Airways, C‑516/23, EU:C:2025:21, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38 Ferner sind nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 21. November 2024, Meste Rimavská Sobota, C‑370/23, EU:C:2024:972, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39 Zwar lässt sich dem Wortlaut von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung Nr. 261/2004 für sich genommen nicht entnehmen, ob der Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf Fälle beschränkt ist, in denen nur das ausführende Luftfahrtunternehmen den Fluggästen die Möglichkeit bietet, kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif zu reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist.

40 Was den Zusammenhang betrifft, in den sich diese Bestimmung einfügt, ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 der Verordnung, dass Fluggäste, die mit von einem Luftfahrtunternehmen kostenlos ausgegebenen Flugscheinen reisen, nicht unter diese Verordnung fallen, es sei denn, diese Flugscheine wurden im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme ausgegeben (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 26. November 2020, SATA International – Azores Airlines, C‑316/20, EU:C:2020:966, Rn. 15).

41 Der Gerichtshof hat insoweit bereits entschieden, dass Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass diese Verordnung nicht auf Fluggäste anwendbar ist, die mit einem Flugschein zu einem Vorzugstarif reisen, der von einem Luftfahrtunternehmen im Rahmen des Sponsorings einer Veranstaltung ausgestellt wird, nur bestimmten Personen zugutekommt und nur mit vorheriger und für jede einzelne Person erteilter Erlaubnis dieses Luftfahrtunternehmens ausgestellt werden darf (Beschluss vom 26. November 2020, SATA International – Azores Airlines, C‑316/20, EU:C:2020:966, Rn. 19).

42 Ferner gilt diese Verordnung ihrem Art. 3 Abs. 5 zufolge für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste erbringen, die einen Flug auf oder zu Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats antreten. Nach dieser Bestimmung wird zudem dann, wenn ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung erfüllt, davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht (Urteil vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia, C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43 Insoweit hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass ein Fluggast eines um mindestens drei Stunden verspäteten Fluges gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen eine Klage auf Ausgleichszahlung nach den Art. 6 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 erheben kann, selbst wenn zwischen dem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen kein Vertrag geschlossen wurde und der fragliche Flug Bestandteil einer Pauschalreise ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia, C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 38).

44 In Anbetracht der Haftung des ausführenden Luftfahrtunternehmens für Ausgleichszahlungen an die Fluggäste bei großer Verspätung eines Fluges bei der Ankunft ist daher festzustellen, dass die in Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene Ausnahme nur die Fälle erfasst, in denen das ausführende Luftfahrtunternehmen den Fluggästen erlaubt, kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, zu reisen.

45 Eine solche Auslegung steht im Einklang mit dem Ziel der Verordnung Nr. 261/2004, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.

46 Nach dem fünften Erwägungsgrund dieser Verordnung sollte dieser Schutz sich nicht auf Fluggäste im Linienflugverkehr beschränken, sondern sich auch auf Fluggäste im Bedarfsflugverkehr, einschließlich Flügen im Rahmen von Pauschalreisen, erstrecken.

47 Aus der Entstehungsgeschichte dieser Verordnung ergibt sich nämlich, dass der Unionsgesetzgeber die Fluggäste, deren Flug Bestandteil einer Pauschalreise ist, nicht vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausschließen wollte, sondern ihnen vielmehr die durch diese Verordnung verliehenen Rechte zuerkennen wollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Primera Air Scandinavia, C‑215/18, EU:C:2020:235, Rn. 36).

48 Da im vorliegenden Fall das Reiseunternehmen die Gegenleistung für die von den im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggästen unternommene Pauschalreise erhalten und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen den Flugpreis gezahlt hat und dieses ein markübliches Entgelt erhalten hat, ist davon auszugehen, dass diese Fluggäste nicht im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung Nr. 261/2004 kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif gereist sind, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist.

49 Wie sich aus der in Rn. 43 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, ist es für die Geltendmachung von Ansprüchen durch die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen unerheblich, dass der Preis der Pauschalreise nicht von diesen Fluggästen, die nicht in einer Vertragsbeziehung mit dem Luftfahrtunternehmen standen, sondern von einem Dritten an das Reiseunternehmen gezahlt wurde, das seinerseits den Preis des Fluges an das ausführende Luftfahrtunternehmen gezahlt hat.

50 Was die Beweislast dafür angeht, dass ein Fluggast im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung Nr. 261/2004 kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, gereist ist, ist festzustellen, dass diese Bestimmung, ohne ausdrücklich die Zuweisung der Beweislast zu regeln, eine Ausnahme von den Bestimmungen, die Fluggästen Rechte gewähren, einführt, wie sich aus Rn. 37 des vorliegenden Urteils ergibt, indem sie einen solchen Fluggast vom Anwendungsbereich dieser Verordnung ausschließt.

51 Um sich von seiner Verpflichtung zur Ausgleichszahlung an diesen Fluggast zu befreien, muss daher das ausführende Luftfahrtunternehmen nach den im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten beweisen, dass der Fluggast im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, gereist ist, und daher nicht in deren Anwendungsbereich fällt.

52 Es ist jedoch festzustellen, dass eine Auslegung, die den Fluggästen die Beweislast auferlegt, nicht nur dem Ziel der Verordnung Nr. 261/2004, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste zu sicherzustellen, zuwiderlaufen würde, sondern auch schwer umzusetzen wäre, insbesondere in dem spezifischen Kontext des vorliegenden Falles, in dem die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste eine Pauschalreise bei einem Reiseunternehmen gebucht hatten.

53 Wie die im Ausgangsverfahren betroffenen Fluggäste und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen geltend gemacht haben, ist es nämlich in der Regel, wie auch im vorliegenden Fall, das Reiseunternehmen, das die Zahlung des Flugpreises an das Luftfahrtunternehmen vornimmt, wenn ein Fluggast seine Pauschalreise nicht unmittelbar beim ausführenden Luftfahrtunternehmen, sondern über ein Reiseunternehmen bucht, da dieser Fluggast einen Preis für die gesamte Pauschalreise einschließlich des Fluges zahlt. Abgesehen davon, dass der Fluggast den genauen Preis des von diesem Unternehmen bezahlten Fluges nicht kennt, hat dieser Fluggast nur begrenzte Möglichkeiten, zu beweisen, dass er den Preis dieses Fluges gezahlt hat.

54 Nach alledem ist auf die dritte bis fünfte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast nicht als im Sinne dieser Bestimmung kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, reisend gilt, wenn zum einen das Reiseunternehmen den Flugpreis an das ausführende Luftfahrtunternehmen zu marktüblichen Bedingungen zahlt und zum anderen der Preis für die Pauschalreise nicht vom Fluggast, sondern von einem Dritten an das Reiseunternehmen gezahlt wird. Das Luftfahrtunternehmen muss nach den im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten beweisen, dass der Fluggast kostenlos oder zu einem solchen reduzierten Tarif gereist ist.

Kosten

55 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 2 Buchst. g und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

sind dahin auszulegen, dass

eine Bordkarte einen „anderen Beleg“ im Sinne der erstgenannten Bestimmung darstellen kann, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde, so dass davon auszugehen ist, dass ein Fluggast, der über eine Bordkarte verfügt, eine „bestätigte Buchung“ im Sinne der letztgenannten Bestimmung für den betreffenden Flug hat, wenn kein besonderer, außergewöhnlicher Umstand nachgewiesen wird.

2. Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004

ist dahin auszulegen, dass

ein Fluggast nicht als im Sinne dieser Bestimmung kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, reisend gilt, wenn zum einen das Reiseunternehmen den Flugpreis an das ausführende Luftfahrtunternehmen zu marktüblichen Bedingungen zahlt und zum anderen der Preis für die Pauschalreise nicht vom Fluggast, sondern von einem Dritten an das Reiseunternehmen gezahlt wird. Das Luftfahrtunternehmen muss nach den im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten beweisen, dass der Fluggast kostenlos oder zu einem solchen reduzierten Tarif gereist ist.

Unterschriften

Quelle:

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=261%252F2004&docid=296205&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=7379315#ctx1

Art. 16 – Verstöße

Gesetzestext

(1) Jeder Mitgliedstaat benennt eine Stelle, die für die Durchsetzung dieser Verordnung in Bezug auf Flüge von in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Flughäfen und Flüge von einem Drittland zu diesen Flughäfen zuständig ist. Gegebenenfalls ergreift diese Stelle die notwendigen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Fluggastrechte gewahrt werden. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission mit, welche Stelle gemäß diesem Absatz benannt worden ist.

(2) Unbeschadet des Artikels 12 kann jeder Fluggast bei einer gemäß Absatz 1 benannten Stelle oder einer sonstigen von einem Mitgliedstaat benannten zuständigen Stelle Beschwerde wegen eines behaupteten Verstoßes gegen diese Verordnung erheben, der auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats begangen wurde oder einen Flug von einem Drittstaat zu einem Flughafen in diesem Gebiet betrifft.

(3) Die von den Mitgliedstaaten für Verstöße gegen diese Verordnung festgelegten Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein.

Kommentierung

Ermächtigung staatlicher Stelle, Airlines zur Ausgleichszahlung zu verpflichten.

Die von jedem Staat zu bennende Stelle, die für die Durchsetung der Verordnung zuständig ist, darf dazu ermächtigt werden, Luftfahrtunternehmen auf Beschwerde eines Fluggastes hin zur Ausgleichszahlung zu verpflichten. Voraussetzung ist aber, dass sowohl der Fluggast als auch das Luftfahrunternehmen die Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen kann.

"Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

die Mitgliedstaaten die für die Durchsetzung der Verordnung zuständige nationale Stelle dazu ermächtigen können, ein Luftfahrtunternehmen zu verpflichten, die den Fluggästen nach der Verordnung geschuldeten Ausgleichszahlungen im Sinne von Art. 7 der Verordnung zu leisten, wenn ein Fluggast bei dieser nationalen Stelle eine individuelle Beschwerde erhoben hat, sofern diesem Fluggast und dem genannten Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit eines gerichtlichen Rechtsbehelfs offensteht."

EuGH, Urteil v. 29. September 2022, C‑597/20

EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑642/23

Wirksames Einverständnis mit Erstattung von Flugscheinkosten durch Reisegutscheine nur, falls Entscheidung ausdrücklich endgültig und eindeutig bestätig wird.

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)

16. Januar 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 8 Abs. 1 Buchst. a – Anspruch auf Erstattung der Flugscheinkosten im Fall der Annullierung eines Fluges – Wahl zwischen einer Erstattung in Geld oder in Form von Reisegutscheinen – Art. 7 Abs. 3 – Begriff ‚schriftliches Einverständnis des Fluggasts‘ – Anlage eines Treuekontos auf der Website des Luftfahrtunternehmens durch den Fluggast “

In der Rechtssache C‑642/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Beschluss vom 16. Oktober 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Oktober 2023, in dem Verfahren

Flightright GmbH

gegen

Etihad Airways P.J.S.C.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Gavalec (Berichterstatter) sowie der Richter Z. Csehi und F. Schalin,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,



aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Flightright GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte M. Michel und R. Weist,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. von Rintelen und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 7 Abs. 3 und Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Flightright GmbH als Zessionarin der Rechte eines Fluggasts (im Folgenden: Zedentin) und der Etihad Airways P.J.S.C. (im Folgenden: Etihad Airways), einem Luftfahrtunternehmen, über die Erstattung der Flugscheinkosten der Zedentin, deren Flug annulliert wurde.

Rechtlicher Rahmen

3 Die Erwägungsgründe 1, 2, 4 und 20 der Verordnung Nr. 261/2004 lauten:

„(1) Die Maßnahmen der [Europäischen] Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.



(4) Die Gemeinschaft sollte deshalb die mit der [Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr (ABl. 1991, L 36, S. 5)] festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken und um sicherzustellen, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt.



(20) Die Fluggäste sollten umfassend über ihre Rechte im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen informiert werden, damit sie diese Rechte wirksam wahrnehmen können.“

4 In Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

…“

5 Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) Abs. 1 und 3 der Verordnung bestimmt:

„(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen…



(3) Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen.“

6 In Art. 8 („Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung“) Abs. 1 der Verordnung heißt es:

„Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen

a) – der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist…

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7 Die Zedentin verfügte über eine bestätigte Buchung für den von Etihad Airways auszuführenden Flug am 7. September 2020 von Düsseldorf (Deutschland) über Abu Dhabi (Vereinigte Arabische Emirate) nach Brisbane (Australien). Die Buchung beinhaltete ein so genanntes Open-Return-Ticket ohne feste Buchung eines Rückflugdatums. Der gezahlte Gesamtpreis für den Hin- und Rückflug betrug 1 189,00 Euro pro Fluggast. Diesen entrichtete die Zedentin an einen Reiseveranstalter.

8 Der Flug von Düsseldorf nach Abu Dhabi wurde jedoch annulliert. Nachdem der Reiseveranstalter im Juli 2020 insolvent geworden war, ohne die Ticketkosten erstattet zu haben, wandte sich der Vater der Zedentin in ihrem Namen an Etihad Airways. Diese bot ihm an, die Flüge formal umzubuchen, was der Vater der Zedentin annahm.

9 Bei einem erneuten Telefongespräch mit einem Mitarbeiter des Service Centers von Etihad Airways erhielt der Vater der Zedentin die Zusage, dass die Zedentin und der Fluggast, der sie hätte begleiten sollen, eine Gutschrift erhalten würden, und zwar erstens eine Gutschrift von Flugmeilen mit einer Gültigkeit von zwei Jahren für einen von Etihad Airways durchgeführten Flug in Höhe des Wertes der für den Kauf ihres Flugtickets geleisteten Zahlung, zweitens eine Gutschrift zusätzlicher Flugmeilen im Wert von 400 US-Dollar (etwa 380 Euro), und drittens eine Gutschrift weiterer 5 000 „Etihad-Guest“-Flugmeilen. Zu diesem Zweck sollte jeder Reisende ein Treuekonto auf der Website von Etihad Airways anlegen, was diese taten.

10 Zwar wurden dem Fluggast, der die Zedentin hätte begleiten sollen, die zugesagten Flugmeilen gutschrieben, der Zedentin jedoch nicht.

11 Mit Schreiben vom 16. März 2021 teilte Flightright im Namen des Vaters der Zedentin sowie des Fluggasts, der sie hätte begleiten sollen, Etihad Airways mit, dass diese von ihrem Wahlrecht nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 Gebrauch machen, und forderte die vollständige Erstattung der Flugscheinkosten für alle nicht zurückgelegten Reiseabschnitte binnen sieben Tagen.

12 Mit Schreiben vom 13. August 2021 erklärte die Zedentin „vorsorglich“, dass sie „eine Erstattung der Flugscheinkosten nach Art. 8 Abs. 1 [Buchst]. a 1. [Gedankenstrich] [der Verordnung Nr. 261/2004] wünsche“ und ihr „zustehende Erstattungsansprüche erneut an … Flightright …“ abtrete.



13 Das Amtsgericht Düsseldorf (Deutschland), bei dem Flightright im ersten Rechtszug eine Klage auf Erstattung des gesamten Ticketpreises erhoben hatte, wies diese Klage mit der Begründung ab, Flightright könne allenfalls den Ausgleich der auf den Hinflug entfallenden Kosten verlangen, den sie vorliegend jedoch auch nach dem von diesem Gericht erteilten Hinweis nicht beziffert habe.

14 Flightright legte gegen dieses Urteil beim Landgericht Düsseldorf, dem vorlegenden Gericht, Berufung ein und beantragte, Etihad Airways zur Zahlung von 1 189 Euro nebst Zinsen seit dem 24. März 2021 zu verurteilen.

15 Das vorlegende Gericht hat unter zwei Gesichtspunkten Bedenken. Zum einen fragt es sich, ob Art. 8 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass die Zedentin durch die Annahme einer Erstattung in Form von Flugmeilen und die Anlage eines Treuekontos auf der Website von Etihad Airways, auf das diese Flugmeilen gutgeschrieben werden sollten, ihr „schriftliches Einverständnis“ im Sinne dieses Art. 7 Abs. 3 zu dieser Form der Erstattung erteilt hat, auch wenn sie ihr Einverständnis in diesem Sinne nicht durch eigenhändige Unterschrift bestätigt hat.

16 Sollte dies bejaht werden, fragt sich das vorlegende Gericht zum anderen, ob die Zedentin die Wahlmöglichkeit, die sie zugunsten einer Erstattung in Form von Flugmeilen ausgeübt habe, widerrufen und erneut die Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Geldbetrags verlangen könne, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen trotz der entsprechend geschlossenen Vereinbarung die Flugmeilen ihrem Treuekonto nicht gutgeschrieben habe.

17 Unter diesen Umständen hat das Landgericht Düsseldorf beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 8 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass ein wirksames schriftliches Einverständnis des Fluggasts mit der Erstattung der Flugscheinkosten in Form von Reisegutscheinen und Gutschriften vorliegt, wenn der Fluggast über die Website der Fluggesellschaft selbst ein elektronisches Kundenkonto eingerichtet hat, auf welches die Reisegutscheine und Gutschriften übertragen werden sollen, ohne dass er sein Einverständnis mit dieser Art der Erstattung mit eigenhändiger Unterschrift bestätigt hat?

2. Wenn Vorlagefrage 1 bejaht wird: Kann der Fluggast sein einmal wirksam erteiltes Einverständnis zur Erstattung der Flugscheinkosten in Form von Reisegutscheinen und Gutschriften widerrufen und wieder Erfüllung durch Zahlung in Geldmitteln verlangen, wenn die Fluggesellschaft die zugesagten Reisegutscheine und Gutschriften im weiteren Verlauf nicht auf das Kundenkonto gutschreibt?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Vorlagefrage

18 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 8 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ mit der Erstattung der Flugscheinkosten in Form von Reisegutscheinen erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Treuekonto angelegt hat, auf das diese Gutscheine übertragen werden sollten, ohne sein Einverständnis zu dieser Form der Erstattung durch eine eigenhändige Unterschrift bestätigt zu haben.

19 Nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 hat der Fluggast bei Annullierung seines Fluges Anspruch auf eine binnen sieben Tagen zu leistende vollständige Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Art. 7 Abs. 3 der Verordnung genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde.

20 Nach der letztgenannten Bestimmung erfolgt die Erstattung durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen.

21 Aus Art. 7 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 ergibt sich, dass der Unionsgesetzgeber mit diesen Bestimmungen einen Rahmen für die Modalitäten der Erstattung der Flugscheinkosten bei Annullierung eines Fluges geschaffen hat. Insoweit zeigt die Struktur von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung, dass die Erstattung der Flugscheinkosten hauptsächlich in Form eines Geldbetrags erfolgt. Demgegenüber stellt die Erstattung in Form von Reisegutscheinen eine subsidiäre Erstattungsmodalität dar, die nur mit „schriftlichem Einverständnis des Fluggasts“ zulässig ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2024, Cobult, C‑76/23, EU:C:2024:253, Rn. 20).

22 Zwar wird in der Verordnung Nr. 261/2004 der Begriff „schriftliche[s] Einverständnis des Fluggasts“, der in ihrem Art. 7 Abs. 3 verwendet wird, nicht definiert. Der Gerichtshof hat jedoch entschieden, dass dieser Begriff im Licht des mit der Verordnung verfolgten Ziels, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, und der dem ausführenden Luftfahrtunternehmen obliegenden Informationspflicht, wie sie im Wesentlichen aus den Erwägungsgründen 1, 2, 4 und 20 der Verordnung hervorgehen, zum einen voraussetzt, dass der betreffende Fluggast in der Lage war, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen und somit freiwillig und in aufgeklärter Weise der Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins anstelle eines Geldbetrags zuzustimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2024, Cobult, C‑76/23, EU:C:2024:253, Rn. 21 und 26 bis 29).

23 Zum anderen hat der Gerichtshof in Bezug auf die Form des Einverständnisses des Fluggasts festgestellt, dass, sofern der Fluggast klare und umfassende Informationen erhalten hat, sein „schriftliche[s] Einverständnis“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 insbesondere seine ausdrücklich erklärte, endgültige und eindeutige Annahme einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins umfassen kann, die dadurch erfolgt, dass er ein auf der Website des ausführenden Luftfahrtunternehmens ausgefülltes Formular versendet, ohne dass dieses seine handschriftliche oder digitalisierte Unterschrift enthält (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. März 2024, Cobult, C‑76/23, EU:C:2024:253, Rn. 34).

24 Somit hat der Gerichtshof entschieden, dass im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ mit einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Online-Formular ausgefüllt und darin diese Erstattungsmodalität unter Ausschluss der Auszahlung eines Geldbetrags gewählt hat, sofern er in der Lage war, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen und somit der Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins anstelle eines Geldbetrags in aufgeklärter Weise zuzustimmen; dies setzt voraus, dass das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast in lauterer Weise klare und umfassende Informationen über die verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Erstattungsmodalitäten gegeben hat (Urteil vom 21. März 2024, Cobult, C‑76/23, EU:C:2024:253, Rn. 37).

25 Daher ist der Begriff „schriftliche[s] Einverständnis des Fluggasts“ im Sinne von Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 nicht eng dahin auszulegen, dass er eine formelle Voraussetzung wie die eigenhändige Unterschrift des Fluggasts dafür aufstellt, dass ein Fluggast seine ausdrückliche, endgültige und eindeutige Annahme einer Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins wirksam zum Ausdruck bringen kann.

26 Vorliegend möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Anlage eines Treuekontos auf der Website von Etihad Airways durch den Fluggast, um auf dieses Konto eine Gutschrift von Flugmeilen zu erhalten, zu der sich Etihad Airways dem Fluggast gegenüber verpflichtet hat, für eine solche vom Fluggast ausdrücklich, endgültig und eindeutig erklärte Annahme einer Erstattung seiner Flugscheinkosten in dieser Form ausreicht.



27 Der bloße Umstand, dass auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein solches Treuekonto angelegt wurde, reicht für sich genommen nicht aus, um davon auszugehen, dass ein Fluggast eine ausdrückliche, endgültige und eindeutige Annahme erklärt hat, da diese Anlage möglicherweise nur ein Hinweis auf den Willen eines Verbrauchers ist, sich allgemein am Treueprogramm eines Luftfahrtunternehmens zu beteiligen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

28 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ mit der Erstattung der Flugscheinkosten in Form von Reisegutscheinen erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Treuekonto angelegt hat, auf das diese Gutscheine übertragen werden sollten, ohne sein Einverständnis zu dieser Form der Erstattung durch eine ausdrückliche, endgültige und eindeutige Annahme bestätigt zu haben.

Zur zweiten Frage

29 Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kosten

30 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Siebte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 8 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ mit der Erstattung der Flugscheinkosten in Form von Reisegutscheinen erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Treuekonto angelegt hat, auf das diese Gutscheine übertragen werden sollten, ohne sein Einverständnis zu dieser Form der Erstattung durch eine ausdrückliche, endgültige und eindeutige Annahme bestätigt zu haben.

Gavalec

Csehi

Schalin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Januar 2025.

Der Kanzler


Der Kammerpräsident

A. Calot Escobar


M. Gavalec

Quelle:

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=261%252F2004&docid=294259&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=7615061#ctx1

EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑516/23

Verordnung anwendbar, auch wenn Fluggast lediglich Luftverkehrssteuern & Gebühren zu zahlen hat. Ebenso, falls begrenztes, an bestimmte Berufsgruppe gerichtetes Ticketkontingent. Ersatzbeförderung kann – vorbehaltlich verfügbarer Plätze – zu beliebig späterem Zeitpunkt beansprucht werden.

Leitsätze der Kanzlei Woicke

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Achte Kammer)

16. Januar 2025(*)

„ Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EG) Nr. 261/2004 – Art. 3 Abs. 3 – Kostenlose Reise oder Reise zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist – Fluggast, der nur Gebühren und Luftverkehrsteuern gezahlt hat – Buchung im Rahmen einer Werbeaktion – Art. 8 Abs. 1 Buchst. c – Anspruch auf anderweitige Beförderung zu einem späteren Zeitpunkt – Nichterforderlichkeit eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem vom Fluggast gewünschten anderweitigen Flug “

In der Rechtssache C‑516/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland) mit Beschluss vom 8. August 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 10. August 2023, in dem Verfahren

NW,

YS

gegen

Qatar Airways

erlässt

DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Neunten Kammer N. Jääskinen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Achten Kammer sowie der Richter M. Gavalec (Berichterstatter) und J. Passer,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– von YS und NW, vertreten durch Rechtsanwalt M. Böse,

– der Qatar Airways, vertreten durch Rechtsanwältin B. Liebert und Rechtsanwalt U. Steppler,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. von Rintelen und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 3 und Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NW und YS, zwei Fluggästen, auf der einen und Qatar Airways auf der anderen Seite über eine Schadensersatzforderung wegen Verstoßes von Qatar Airways gegen ihre Verpflichtung zur anderweitigen Beförderung dieser Fluggäste zum Endziel.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung Nr. 261/2004

3 In den Erwägungsgründen 1, 2, 4, 12 und 13 der Verordnung Nr. 261/2004 wird ausgeführt:

„(1) Die Maßnahmen der [Europäischen] Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.

(2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große Unannehmlichkeiten.



(4) Die Gemeinschaft sollte deshalb die mit der [Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr (ABL. 1991, L 36, S. 5)] festgelegten Schutzstandards erhöhen, um die Fluggastrechte zu stärken und um sicherzustellen, dass die Geschäftstätigkeit von Luftfahrtunternehmen in einem liberalisierten Markt harmonisierten Bedingungen unterliegt.



(12) Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die Annullierung von Flügen entstehen, sollten ebenfalls verringert werden. Dies sollte dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so dass die Fluggäste umdisponieren können. Andernfalls sollten die Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf außergewöhnliche Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

(13) [Fluggäste], deren Flüge annulliert werden, sollten entweder eine Erstattung des Flugpreises oder eine anderweitige Beförderung unter zufrieden stellenden Bedingungen erhalten können, und sie sollten angemessen betreut werden, während sie auf einen späteren Flug warten.“

4 Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 lautet:

„Diese Verordnung gilt nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Sie gilt jedoch für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.“

5 Art. 5 („Annullierung“) Abs. 1 Buchst. a und Abs. 3 dieser Verordnung sieht vor:

„(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,



(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“

6 Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung sieht einen standardisierten Ausgleich für Fluggäste vor, dessen Höhe insbesondere von der Flugstrecke abhängt.

7 In Art. 8 („Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung“) der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:

„(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen

a) – der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit

– einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt,

b) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder

c) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.

…“

Verordnung (EG) Nr. 1008/2008

8 Art. 23 („Information und Nichtdiskriminierung“) Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1008/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Durchführung von Luftverkehrsdiensten in der Gemeinschaft (ABl. 2008, L 293, S. 3) bestimmt:

„Die der Öffentlichkeit zugänglichen Flugpreise und Luftfrachtraten, die in jedweder Form – auch im Internet – für Flugdienste von einem Flughafen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, auf das der Vertrag Anwendung findet, angeboten oder veröffentlicht werden, schließen die anwendbaren Tarifbedingungen ein. Der zu zahlende Endpreis ist stets auszuweisen und muss den anwendbaren Flugpreis beziehungsweise die anwendbare Luftfrachtrate sowie alle anwendbaren Steuern und Gebühren, Zuschläge und Entgelte, die unvermeidbar und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vorhersehbar sind, einschließen. Neben dem Endpreis ist mindestens Folgendes auszuweisen:

a) der Flugpreis bzw. die Luftfrachtrate,

b) die Steuern,

c) die Flughafengebühren und

d) die sonstigen Gebühren, Zuschläge und Entgelte, wie etwa diejenigen, die mit der Sicherheit oder dem Kraftstoff in Zusammenhang stehen,

soweit die unter den Buchstaben b, c und d genannten Posten dem Flugpreis bzw. der Luftfrachtrate hinzugerechnet wurden. Fakultative Zusatzkosten werden auf klare, transparente und eindeutige Art und Weise am Beginn jedes Buchungsvorgangs mitgeteilt; die Annahme der fakultativen Zusatzkosten durch den Kunden erfolgt auf ‚Opt-in‘-Basis.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

9 Am 5. August 2020 buchten die Kläger des Ausgangsverfahrens bei Qatar Airways Flüge von Frankfurt am Main (Deutschland) über Doha (Katar) nach Denpasar (Indonesien) und zurück.

10 Die Buchung erfolgte im Rahmen einer Aktion von Qatar Airways als ausführendes Luftfahrtunternehmen. Diese zeitlich begrenzte Aktion war ausschließlich Angehörigen der Gesundheitsberufe vorbehalten und ermöglichte diesen Flugbuchungen bei Qatar Airways unter Entrichtung allein der für die Buchungen anfallenden Steuern und Gebühren.

11 Am 13. September 2020 annullierte Qatar Airways die von der Buchung betroffenen Flüge.

12 Im Übrigen flog Qatar Airways Denpasar bis Frühjahr 2022 nicht mehr an.

13 Mit E‑Mail vom 8. August 2022 verlangten die Kläger des Ausgangsverfahrens von Qatar Airways ihre anderweitige Beförderung nach Denpasar am 20. Oktober 2022 mit Rückflug nach Frankfurt am Main am 7. November 2022. Für die dafür erforderlichen Schritte setzten sie Qatar Airways eine Frist bis zum 18. August 2022. Nach fruchtlosem Fristablauf buchten die Kläger des Ausgangsverfahrens die fraglichen Flüge unter Einsatz von im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms erlangten Vorteilen zu einem Gesamtpreis von 394,62 Euro. Der Marktpreis der Flüge betrug am Buchungstag 4 276,36 Euro pro Fluggast.

14 Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben beim Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen Qatar Airways auf Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Unterstützungspflicht gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004.

15 Im Rahmen dieser Klage sieht sich das vorlegende Gericht als Erstes vor die Frage nach der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 im vorliegenden Fall gestellt.

16 Es fragt sich insoweit zum einen, ob ein Fluggast kostenlos im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 reise, wenn er lediglich die Luftverkehrsteuern und die Flughafengebühren zu entrichten habe.

17 Zum anderen hält es fest, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Deutschland) ein reduzierter Tarif, den ein Luftfahrtunternehmen den Mitarbeitern eines Unternehmens, das mit ihm eine Rahmenvereinbarung geschlossen habe, gewähre, im Sinne von besagtem Art. 3 Abs. 3 „für die Öffentlichkeit verfügbar“ sei. Diese Rechtsprechung könnte auf die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Aktion Anwendung finden, bei der es sich weder um ein Kundenbindungs- noch um ein Werbeprogramm im Sinne dieser Bestimmung handle.

18 Für den Fall der Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 261/2004 auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens wirft das vorlegende Gericht als Zweites die Frage auf, ob der in Art. 8 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung vorgesehene Anspruch auf anderweitige Beförderung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem im Rahmen der anderweitigen Beförderung durchzuführenden Flug voraussetzt, auch wenn sich diese Voraussetzung nicht aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergebe.

19 Es weist insoweit darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Köln (Deutschland) Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004, der die Fluggäste während der betreffenden Reise schützen solle, seinem Sinn und Zweck nach dem Fluggast keinen Anspruch auf eine kostenfreie anderweitige Beförderung nach dessen Belieben außerhalb jedes zeitlichen Zusammenhangs mit dem ursprünglichen Reiseplan verleihe. Das Oberlandesgericht Köln halte einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem annullierten Flug und dem im Rahmen der anderweitigen Beförderung durchzuführenden Flug für erforderlich. Vor dem Bundesgerichtshof (Deutschland) hatte diese Rechtsprechung jedoch offenbar keinen Bestand. In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob aus Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 das Erfordernis eines solchen zeitlichen Zusammenhangs folgt. Der Wortlaut der Bestimmung gebe dafür jedenfalls nichts her.

20 Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht Frankfurt am Main beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist die Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass der Fluggast zu einem kostenlosen Tarif nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Variante 1 der Verordnung reist, wenn er lediglich Gebühren und Luftverkehrsteuern für das Flugticket zahlen muss?

2. Für den Fall, dass die Frage zu 1 verneint wird:

Ist die Verordnung Nr. 261/2004 dahin gehend auszulegen, dass es sich nicht um einen für die Öffentlichkeit (mittelbar) verfügbaren Tarif im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Variante 2 der Verordnung handelt, wenn der Flug im Rahmen einer zeitlich und mengenmäßig begrenzten Aktion eines Luftfahrtunternehmens gebucht wurde, die nur einer bestimmten Berufsgruppe zur Verfügung stand?

3. Für den Fall, dass auch die Frage 2 verneint und der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 261/2004 für eröffnet erachtet wird:

a) Ist Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung dahin gehend auszulegen, dass zwischen dem ursprünglich gebuchten und annullierten Flug und der gewünschten Ersatzbeförderung zu einem späteren Zeitpunkt ein zeitlicher Zusammenhang bestehen muss?

b) Wie wäre dieser zeitliche Zusammenhang gegebenenfalls zu umgrenzen?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

21 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast kostenlos im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er für seine Buchung ausschließlich Luftverkehrsteuern und Gebühren zu entrichten hatte.

22 Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung Nr. 261/2004 gilt diese nicht für Fluggäste, die kostenlos reisen.

23 Die Wendung „kostenlos reisen“ ist weder in Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 noch in irgendeiner anderen Bestimmung dieser Verordnung definiert. Daher sind Bedeutung und Tragweite dieser Wendung nach ständiger Rechtsprechung entsprechend ihrem üblichen Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch zu bestimmen, wobei zu berücksichtigen ist, in welchem Zusammenhang sie verwendet wird und welche Ziele mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 30. April 2024, Trade Express-L und DEVNIA TSIMENT, C‑395/22 und C‑428/22, EU:C:2024:374, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung). Außerdem ist, wie der Gerichtshof entschieden hat, in Anbetracht des Ziels der Verordnung Nr. 261/2004, das nach ihrem ersten Erwägungsgrund darin besteht, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, eine Ausnahme von den Bestimmungen, die Fluggästen Rechte gewähren, eng auszulegen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Oktober 2023, LATAM Airlines Group, C‑238/22, EU:C:2023:815, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24 Was zunächst den üblichen Sinn der Wendung „kostenlos reisen“ betrifft, so bezeichnet diese allgemein einen Sachverhalt, bei dem der Fluggast unentgeltlich reist, ohne die geringste Gegenleistung für seinen Flugschein zahlen zu müssen.

25 Insoweit widerspräche eine Auslegung dieser Wendung dahin, dass ein Fluggast kostenlos reist, obwohl er für den Abschluss seiner Buchung eine Zahlung – nicht für den Flugpreis, sondern für Luftverkehrsteuern oder Gebühren – leisten muss, dem üblichen Sinn dieser Wendung nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch.

26 Was sodann den Regelungszusammenhang von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 anbelangt, so bezieht sich diese Bestimmung zwar allgemein auf die Kostenfreiheit der Reise, ohne näher auf die verschiedenen Bestandteile einzugehen, die den Preis der Reise ausmachen, doch sieht Art. 23 der Verordnung Nr. 1008/2008 vor, dass der zu zahlende Endpreis den anwendbaren Flugpreis sowie alle Steuern, Flughafengebühren und sonstigen Gebühren, Zuschläge und Entgelte, wie etwa diejenigen, die mit der Sicherheit oder dem Kraftstoff in Zusammenhang stehen, einschließt. Daraus folgt, dass die Steuern und Gebühren nicht vom Preis des Flugscheins ausgenommen, sondern integrierender Bestandteil davon sind.

27 Diese Auslegung wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs bestärkt, nach der Fluggäste, die mit Flugscheinen reisen, für die sie nur einen Teil des Preises zahlen, unter die Verordnung Nr. 261/2004 fallen, wenn entweder der bezahlte reduzierte Tarif für die Öffentlichkeit unmittelbar oder mittelbar verfügbar war oder diese Flugscheine im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme ausgegeben wurden (Beschluss vom 26. November 2020, SATA International – Azores Airlines, C‑316/20, EU:C:2020:966, Rn. 16).

28 Was schließlich die Zielsetzung der Verordnung Nr. 261/2004 angeht, so soll mit dieser ausweislich ihrer Erwägungsgründe 1, 2 und 4 ein hohes Schutzniveau für Fluggäste und Verbraucher sichergestellt werden, indem deren Rechte in bestimmten Situationen, die für sie ein Ärgernis sind und ihnen große Unannehmlichkeiten verursachen, gestärkt werden und ihnen standardisiert und sofort Ersatz geleistet wird (Urteil vom 22. April 2021, Austrian Airlines, C‑826/19, EU:C:2021:318, Rn. 26).

29 Eine Auslegung, wonach der Fluggast kostenlos reiste und deshalb nicht von der Anwendung der Verordnung Nr. 261/2004 profitierte, obwohl er Zahlungen für Luftverkehrsteuern und Gebühren zu leisten hat, würde aber das vorstehend in Rn. 28 angesprochene Ziel der Verordnung in Gefahr bringen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.

30 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast nicht kostenlos im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er für seine Buchung ausschließlich Luftverkehrsteuern und Gebühren zu entrichten hatte.

Zur zweiten Frage

31 Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast zu einem für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren reduzierten Tarif im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er seinen Flugschein im Rahmen einer Werbeaktion gebucht hat, die zeitlich sowie hinsichtlich der Menge der angebotenen Flugscheine begrenzt war und sich an eine bestimmte Berufsgruppe richtete.

32 Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 gilt diese Verordnung nicht für Fluggäste, die zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist.

33 Im vorliegenden Fall eröffnete Qatar Airways im Rahmen ihrer Werbeaktion nur Angehörigen der Gesundheitsberufe die Möglichkeit zur Buchung von Flügen bei ihr unter Entrichtung allein der für die Buchungen anfallenden Steuern und Gebühren. In diesem Zusammenhang sieht sich das vorlegende Gericht vor die Frage gestellt, ob es sich bei einem solchen reduzierten Tarif, der einer Gruppe von Angehörigen der Gesundheitsberufe vorbehalten ist, um einen für die Öffentlichkeit verfügbaren Tarif im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 handelt.

34 Insoweit ist zur Tragweite der Wendung „für die Öffentlichkeit verfügbar“ mit der Europäischen Kommission festzustellen, dass ein Tarif auch dann für die Öffentlichkeit verfügbar ist, wenn nicht jeder potenzielle Kunde in der Lage ist, ihn in Anspruch zu nehmen.

35 Der Begriff „Öffentlichkeit“ umfasst nämlich eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten und setzt im Übrigen recht viele Personen voraus (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Juni 2024, GEMA, C‑135/23, EU:C:2024:526, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). Um festzustellen, ob eine Gruppe von Personen, zugunsten deren ein reduzierter Tarif gilt, von der „Öffentlichkeit“ unterschieden werden kann, ist insbesondere zu prüfen, ob diese Gruppe hinreichend genau bestimmt ist, ob die betreffenden Personen die vom Luftfahrtunternehmen für die Inanspruchnahme dieses Tarifs vorgegebenen besonderen Merkmale erfüllen und ob das Luftfahrtunternehmen eine einzelfallbezogene Zustimmung vor Ausstellung des Beförderungsscheins vorsieht.

36 Insoweit kann die Gruppe der Angehörigen der Gesundheitsberufe, die abstrakt, ohne nähere Angabe zu den sie verbindenden besonderen Merkmalen beschrieben werden und zu deren Gunsten die Ausstellung von Beförderungsscheinen keiner einzelfallbezogenen Zustimmung im Vorfeld unterliegt, eine Öffentlichkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 darstellen. Daraus folgt, dass ein reduzierter Tarif, der einer solchen Gruppe vorbehalten ist, im Sinne dieser Bestimmung „für die Öffentlichkeit verfügbar“ ist.

37 Diese Auslegung wird durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 bekräftigt, nach der Flugscheine zum Vorzugstarif, die im Rahmen eines Veranstaltungssponsoring nur einigen bestimmten Personen zur Verfügung stehen und erst nach einer vorherigen und einzelfallbezogenen Zustimmung des Luftfahrtunternehmens ausgestellt werden können, weder für die Öffentlichkeit verfügbar sind, noch im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme ausgegeben werden (Beschluss vom 26. November 2020, SATA International – Azores Airlines, C‑316/20, EU:C:2020:966, Rn. 17).

38 Im vorliegenden Fall nahmen die Kläger des Ausgangsverfahrens eine Flugbuchung bei einem Luftfahrtunternehmen im Rahmen einer Werbeaktion vor, die zeitlich eng begrenzt und allein Angehörigen der Gesundheitsberufe vorbehalten war. Die im Rahmen dieser Werbeaktion angebotenen Tarife waren zwar nicht für die gesamte Bevölkerung verfügbar. Allerdings waren sie nicht einigen individuell bestimmten Personen vorbehalten, sondern einer bestimmten Berufsgruppe, nämlich den Angehörigen der Gesundheitsberufe. Bei dieser Berufsgruppe, die sich aus einer unbestimmten Zahl von Personen zusammensetzt, besteht keine besondere Verbindung zu dem Luftfahrtunternehmen über den Rahmen einer Kundenbeziehung hinaus.

39 Was zudem die zahlenmäßige Beschränkung der im Rahmen der Werbeaktion zur Verfügung stehenden Flugscheine betrifft, geht aus der dem Gerichtshof vorliegenden Akte hervor, dass diese Beschränkung nicht auf die besonderen Merkmale der betreffenden Berufsgruppe zurückzugehen scheint, sondern offenbar in praktischen Einschränkungen seitens des Luftfahrtunternehmens begründet liegt, das solche Tarife wegen der Gruppengröße nicht für die gesamte Berufsgruppe anbieten konnte.

40 Schließlich könnte zudem eine Auslegung, nach der eine weit gefasste Personengruppe wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Angehörigen der Gesundheitsberufe nicht als „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen wäre, dem im ersten Erwägungsgrund dieser Verordnung genannten Ziel zuwiderlaufen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.

41 Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast nicht zu einem für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren reduzierten Tarif im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er seinen Flugschein im Rahmen einer Werbeaktion gebucht hat, die zeitlich sowie hinsichtlich der Menge der angebotenen Flugscheine begrenzt war und sich an eine bestimmte Berufsgruppe richtete.

Zur dritten Frage

42 Mit seiner für den Fall der Verneinung der ersten beiden Fragen gestellten dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass für seine Anwendung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem von einem Fluggast gewünschten anderweitigen Flug erforderlich ist, und wie bejahendenfalls dieser zeitliche Zusammenhang zu umgrenzen ist.

43 Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 hat das ausführende Luftfahrtunternehmen bei Annullierung eines Fluges den betroffenen Fluggästen Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 dieser Verordnung anzubieten.

44 Nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 können die betroffenen Fluggäste zwischen drei Optionen wählen, nämlich erstens der Erstattung der Flugscheinkosten unter bestimmten Bedingungen, gegebenenfalls in Verbindung mit der Organisation eines Rückflugs zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt, zweitens einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder drittens einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggasts, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.

45 Wie der Gerichtshof entschieden hat, sieht dieser Artikel klar und deutlich die Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens vor, den Fluggästen, deren Flug annulliert wurde, eine Wahl zwischen den verschiedenen in seinem ersten Absatz aufgeführten Optionen zu bieten, was voraussetzt, dass das Luftfahrtunternehmen den betreffenden Fluggästen alle Informationen über die aus dieser Bestimmung resultierenden Rechte liefert, damit die Fluggäste ihre Rechte im Fall der Annullierung wirksam wahrnehmen können. Ebenso obliegt es dem Luftfahrtunternehmen, Fluggäste entsprechend zu informieren, wenn eine anderweitige Beförderung nicht möglich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug], C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 43 und 44 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

46 Daraus folgt, dass das Luftfahrtunternehmen im Fall der Annullierung des Fluges den Fluggästen die Informationen zur Verfügung zu stellen hat, die erforderlich sind, damit sie eine zweckdienliche Wahl treffen können, nämlich, sich entweder ihre Flugscheinkosten erstatten zu lassen oder ihre Reise zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder zu einem späteren Zeitpunkt fortzusetzen. Mit der Zuerkennung eines Informationsanspruchs kann nicht verbunden sein, dass es dem Fluggast in irgendeiner Weise obläge, aktiv an der Suche nach Informationen mitzuwirken, die im Vorschlag des ausführenden Luftfahrtunternehmens enthalten sein müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Rusu, C‑354/18, EU:C:2019:637, Rn. 54 bis 56).

47 Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass die von den Klägern des Ausgangsverfahrens ursprünglich gebuchten Flüge von Qatar Airways im September 2020 annulliert wurden. Qatar Airways teilte den Klägern des Ausgangsverfahrens insoweit lediglich mit, dass ihr Endziel Denpasar aufgrund von Umständen, die mit der Covid‑19-Pandemie zusammenhingen, nicht angeflogen werden könne, und verlängerte gleichzeitig die Gültigkeit der in Rede stehenden Flugscheine um zwei Jahre, d. h. bis zum 4. August 2022. Am 8. August 2022 verlangten die Kläger des Ausgangsverfahrens von Qatar Airways gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 eine anderweitige Beförderung zum Endziel zu einem späteren Zeitpunkt nach ihrem Wunsch.

48 Die Verpflichtung zur Erbringung von Unterstützungsleistungen gemäß Art. 8 der Verordnung Nr. 261/2004 trifft das ausführende Luftfahrtunternehmen unabhängig davon, welches Vorkommnis zur Annullierung des Fluges geführt hat. Selbst bei außergewöhnlichen Umständen entfällt nämlich nach Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung nur die Ausgleichspflicht des ausführenden Luftfahrtunternehmens gemäß Art. 7 der Verordnung (Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug], C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 45).

49 Die Verordnung Nr. 261/2004 enthält auch keinen Hinweis darauf, dass über die in ihrem Art. 5 Abs. 3 genannten „außergewöhnlichen Umstände“ hinaus eine gesonderte Kategorie von „besonders außergewöhnlichen“ Vorkommnissen wie der Covid‑19-Pandemie anerkannt würde, aufgrund deren die ausführenden Luftfahrtunternehmen von allen ihren Verpflichtungen, einschließlich derjenigen nach Art. 8 dieser Verordnung, freigestellt würden (Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug], C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 46).

50 Ein Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, hat daher gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen Anspruch auf Entschädigung durch Wertersatz, falls das Luftfahrtunternehmen seiner sich aus Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 ergebenden Unterstützungsverpflichtung, einschließlich seiner oben in den Rn. 45 und 46 erläuterten Informationspflicht, nicht nachkommt (Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug], C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 48).

51 Diese Entschädigung ist jedoch auf das beschränkt, was sich unter den Umständen jedes einzelnen Falles als notwendig, angemessen und zumutbar erweist, um das Versäumnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens auszugleichen (Urteil vom 8. Juni 2023, Austrian Airlines [Repatriierungsflug], C‑49/22, EU:C:2023:454, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52 Was speziell die Frage betrifft, ob für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem gewünschten anderweitigen Flug erforderlich ist, so ist dies nach der oben in Rn. 23 angeführten Rechtsprechung zu klären, indem nicht nur der Wortlaut dieser Bestimmung, sondern auch ihr Regelungszusammenhang und die Ziele berücksichtigt werden, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden.

53 Als Erstes ist zum Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 festzustellen, dass er kein Erfordernis in Bezug auf das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem im Rahmen der anderweitigen Beförderung durchzuführenden Flug enthält. Aus dieser Bestimmung ergibt sich nur, dass die Fluggäste eine anderweitige Beförderung „zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze“ verlangen können. Aus der Wendung „zu einem späteren Zeitpunkt“ geht jedoch nicht hervor, dass damit der Anspruch auf anderweitige Beförderung zeitlich begrenzt würde.

54 Somit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004, dass der Wunsch und das Anliegen des Fluggasts, zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt anderweitig befördert zu werden, maßgebend sind und eine Grenze insoweit nur in der Verfügbarkeit von Plätzen liegt. Demnach kann ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einen für den Fluggast annehmbaren anderweitigen Flug nur dann verweigern, wenn keine Plätze verfügbar sind.

55 Als Zweites ist zum Regelungszusammenhang von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 festzustellen, dass der Unionsgesetzgeber in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung ausdrücklich ein zeitliches Element vorgesehen hat, das darin besteht, dass der Fluggast eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt verlangen kann. Hätte der Unionsgesetzgeber aber den Anspruch auf anderweitige Beförderung nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung zeitlich begrenzen wollen, so hätte er dies so wie in ihrem Art. 8 Abs. 1 Buchst. b präzisiert. Auch die Erwägungsgründe 12 und 13 der Verordnung Nr. 261/2004 enthalten für den Fall der Annullierung eines Fluges keinerlei Bezugnahme auf einen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem annullierten Flug und dem Flug im Rahmen der anderweitigen Beförderung.

56 Außerdem kann der Fluggast, wie sich aus Rn. 46 des vorliegenden Urteils ergibt, im Fall der Annullierung eines Fluges zwischen einer Erstattung oder einer nachträglichen anderweitigen Beförderung wählen. In Anbetracht dieser Optionen, deren Wahl dem Fluggast vorbehalten ist, würde eine Auslegung, nach der das in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene zeitliche Element für die Zwecke des Anspruchs auf spätere anderweitige Beförderung nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung maßgebend wäre, dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen.

57 Als Drittes wird die obige Auslegung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 durch die mit dieser verfolgten Ziele, wie sie in ihren Erwägungsgründen 1 und 4 genannt werden, bekräftigt, die insbesondere darin bestehen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen und deren Rechte zu stärken sowie gleichzeitig den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung zu tragen.

58 Eine Auslegung, die die dem Fluggast nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 eröffneten Optionen übermäßig einschränken würde, liefe nämlich dem mit der Verordnung verfolgten Hauptziel zuwider, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen.

59 Die vorstehend vorgenommene Auslegung wird auch nicht dadurch entkräftet, dass damit nach dem Vorbringen von Qatar Airways die betroffenen ausführenden Luftfahrtunternehmen über Gebühr belastet würden. Nach ständiger Rechtsprechung kann insoweit die Bedeutung, die dem mit der Verordnung Nr. 261/2004 verfolgten Ziel des Schutzes der Verbraucher und somit auch der Fluggäste zukommt, negative wirtschaftliche Folgen selbst beträchtlichen Ausmaßes für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen (Urteil vom 31. Januar 2013, McDonagh, C‑12/11, EU:C:2013:43, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60 Jedenfalls begrenzte aber im vorliegenden Fall Qatar Airways infolge der Covid‑19-Pandemie die Gültigkeit der ausgegebenen Flugscheine auf einen Zeitraum von zwei Jahren ab der ursprünglichen Buchung. Die Kläger des Ausgangsverfahrens besaßen Flugscheine, die bis zum 4. August 2022 gültig waren, und verlangten die anderweitige Beförderung nach diesem Zeitpunkt, d. h. am 8. August 2022.

61 Die Verordnung Nr. 261/2004 enthält keine Bestimmung über Ausschlussfristen für Klagen, die bei den nationalen Gerichten erhoben werden und auf anderweitige Beförderung gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung gerichtet sind (vgl. entsprechend Urteil vom 22. November 2012, Cuadrench Moré, C‑139/11, EU:C:2012:741, Rn. 24).

62 Nach ständiger Rechtsprechung ist es in Ermangelung einer entsprechenden unionsrechtlichen Regelung nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie eine Frage der innerstaatlichen Rechtsordnung eines jeden Mitgliedstaats, die Verfahrensmodalitäten für Klagen festzulegen, die den Schutz der den Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sofern diese Modalitäten den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz wahren (Urteil vom 22. November 2012, Cuadrench Moré, C‑139/11, EU:C:2012:741, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63 Unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen die Fluggäste eine anderweitige Beförderung zum Endziel nach Ablauf der Gültigkeit ihrer Flugscheine, hier mehr als zwei Jahre nach der ursprünglichen Buchung, verlangen, ist es daher Sache des nationalen Gerichts, unter Beachtung dieser Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität die zeitlichen Grenzen bei Klagen zu bestimmen, mit denen die Fluggäste ihren Anspruch auf anderweitige Beförderung gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 geltend machen.

64 Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass für seine Anwendung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem von einem Fluggast gewünschten anderweitigen Flug nicht erforderlich ist. Eine solche anderweitige Beförderung zum Endziel kann, vorbehaltlich verfügbarer Plätze, zu vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt verlangt werden.

Kosten

65 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:

1. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

ein Fluggast nicht kostenlos im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er für seine Buchung ausschließlich Luftverkehrsteuern und Gebühren zu entrichten hatte.

2. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004

ist dahin auszulegen, dass

ein Fluggast nicht zu einem für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren reduzierten Tarif im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er seinen Flugschein im Rahmen einer Werbeaktion gebucht hat, die zeitlich sowie hinsichtlich der Menge der angebotenen Flugscheine begrenzt war und sich an eine bestimmte Berufsgruppe richtete.

3. Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004

ist dahin auszulegen, dass

für seine Anwendung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem von einem Fluggast gewünschten anderweitigen Flug nicht erforderlich ist. Eine solche anderweitige Beförderung zum Endziel kann, vorbehaltlich verfügbarer Plätze, zu vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt verlangt
werden.

Unterschriften

Art. 15 – Ausschluss der Rechtsbeschränkung

Gesetzestext

(1) Die Verpflichtungen gegenüber Fluggästen gemäß dieser Verordnung dürfen - insbesondere durch abweichende oder restriktive Bestimmungen im Beförderungsvertrag - nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.

(2) Wird dennoch eine abweichende oder restriktive Bestimmung bei einem Fluggast angewandt oder wird der Fluggast nicht ordnungsgemäß über seine Rechte unterrichtet und hat er aus diesem Grund einer Ausgleichsleistung zugestimmt, die unter der in dieser Verordnung vorgesehenen Leistung liegt, so ist der Fluggast weiterhin berechtigt, die erforderlichen Schritte bei den zuständigen Gerichten oder Stellen zu unternehmen, um eine zusätzliche Ausgleichsleistung zu erhalten.

Kommentierung

Kein Abtretungsverbot durch Klauseln im Beförderungsvertrag

Eine Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die dem Fluggast die Abtretung seiner Ansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen verbietet, stellt eine ausgeschlossene Rechtsbeschränkung da. Hat der Passagier Ansprüche gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen aus dieser Verordnung, darf er sie an einen Dritten abtreten.

"Art. 15 der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass

er der Einbeziehung einer Klausel in einen Beförderungsvertrag entgegensteht, die die Abtretung von Ansprüchen verbietet, die dem Fluggast gegenüber dem ausführenden Luftfahrtunternehmen nach den Bestimmungen dieser Verordnung zustehen."

EuGH, Urteil v. 29. Februar 2024, C-11/23

Art. 14 – Verpflichtung zur Information der Fluggäste über ihre Rechte

Gesetzestext

(1) Das ausführende Luftfahrtunternehmen stellt sicher, dass bei der Abfertigung ein klar lesbarer Hinweis mit folgendem Wortlaut für die Fluggäste deutlich sichtbar angebracht wird: "Wenn Ihnen die Beförderung verweigert wird oder wenn Ihr Flug annulliert wird oder um mindestens zwei Stunden verspätet ist, verlangen Sie am Abfertigungsschalter oder am Flugsteig schriftliche Auskunft über ihre Rechte, insbesondere über Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen."

(2) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das Fluggästen die Beförderung verweigert oder einen Flug annulliert, händigt jedem betroffenen Fluggast einen schriftlichen Hinweis aus, in dem die Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß dieser Verordnung dargelegt werden. Ferner wird allen von einer Verspätung um mindestens zwei Stunden betroffenen Fluggästen ein entsprechender Hinweis ausgehändigt. Die für die Kontaktaufnahme notwendigen Angaben zu der benannten einzelstaatlichen Stelle nach Artikel 16 werden dem Fluggast ebenfalls in schriftlicher Form ausgehändigt.

(3) Bei blinden oder sehbehinderten Personen sind die Bestimmungen dieses Artikels durch den Einsatz geeigneter alternativer Mittel anzuwenden.

Kommentierung

Abs. 2

Umfang / Grenzen

Ausführendes Luftfahrtunternehmen muss von einer Störung betroffene Passagiere wie folgt unterrichten:

  • genauen Unternehmensbezeichnung und Anschrift
  • Unterlagen, die Fluggast Verlangen beifügen soll

Nicht zu unterrichten braucht es über:

  • Genaue Höhe der Ausgleichszahlung
"Art. 14 Abs. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass er das ausführende Luftfahrtunternehmen dazu verpflichtet, den Fluggast darüber zu unterrichten, unter welcher genauen Unternehmensbezeichnung und Anschrift er eine Ausgleichszahlung gemäß Art. 7 der Verordnung verlangen kann und welche Unterlagen er seinem Verlangen gegebenenfalls beifügen soll; das Luftfahrtunternehmen muss den Fluggast jedoch nicht über den genauen Betrag der Ausgleichszahlung unterrichten, die er unter Umständen nach Art. 7 der Verordnung beanspruchen kann."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20

Art. 8 – Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung

Gesetzestext

(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen

a) - der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit

- einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt,

b) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder

c) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.

(2) Absatz 1 Buchstabe a) gilt auch für Fluggäste, deren Flüge Bestandteil einer Pauschalreise sind, mit Ausnahme des Anspruchs auf Erstattung, sofern dieser sich aus der Richtlinie 90/314/EWG ergibt.

(3) Befinden sich an einem Ort, in einer Stadt oder Region mehrere Flughäfen und bietet ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einem Fluggast einen Flug zu einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen an, so trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen die Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem anderen Flughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort.

Kommentierung

Abs. 1 Buchst. b

Vorverlegung des Flugs kann Angebot anderweitiger Beförderung sein

Wird Fluggast vor Reisebeginn über die Vorverlegung seines Fluges unterrichtet, kann dies das Angebot einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt darstellen.

"Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die vor Reisebeginn an den Fluggast gerichtete Mitteilung über die Vorverlegung des Fluges ein Angebot einer anderweitigen Beförderung im Sinne der letztgenannten Bestimmung darstellen kann."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20

Repatriierungsflug braucht nicht angeboten zu werden

Bei einem „Repatriierungsflug“, der von einem Mitgliedstaat im Rahmen einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme organisiert wird (z.B. bei Unruhen, Krieg, Naturkatastrophen oder einer Pandemie), handelt es sich nicht um einen kommerziellen Flug. Die Pflicht, eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen anzubieten, beschränkt sich aber auf kommerzielle Flüge; EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22, Rn. 31. Entsprechend braucht er vom ausführenden Luftfahrtunternehmen im Falle einer Annullierung oder Nichtbeförderung betroffenen Fluggästen auch nicht angeboten zu werden.

"Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
sind dahin auszulegen, dass

ein Repatriierungsflug, der von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme im Anschluss an die Annullierung eines Fluges organisiert wird, keine „anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung darstellt, die das ausführende Luftfahrtunternehmen einem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, anbieten muss."

EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22

Keine Anspruchsrundlage für Kostenerstattung eines Repatriierungsflugs

Die Verordnung selbst, insbesondere diese Norm, stellt keine Anspruchslage dar, auf deren Grundlage die Kosten für einen sogenannten Retatriierungsflug, der von einem Mitgliedstaat im Rahmen einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme organisiert wird (z.B. bei Unruhen, Krieg, Naturkatastrophen oder einer Pandemie), verlangt werden könnten.

"Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass

einem Fluggast, der sich im Anschluss an die Annullierung seines Rückflugs selbst für einen von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme organisierten Repatriierungsflug anmeldet und dafür einen verpflichtenden Unkostenbeitrag an diesen Staat leisten muss, gegenüber dem Luftfahrtunternehmen kein Anspruch auf Erstattung dieser Kosten auf der Grundlage dieser Verordnung zusteht."

EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22

Allerdings weist der EuGH in dieser Entscheidung nachdrücklich darauf hin, dass Erstattung nach nationalem Recht im Rahmen dessen verlangt werden kann, was notwendig und angemessen ist, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen seinen Unterstützungsverpflichtungen aus Abs. 1 nicht nachgekommen ist. Dies betrifft neben der Notwendigkeit, betroffenen Fluggästen im Falle der Annullierung etc. eine anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen anzubieten, auch den Fall, dass ihnen keine (anteilige) Erstattung ihrer ursprünglichen Flugscheinkosten angeboten wird. Mit anderen Worten: Im Falle der Annullierung eines Fluges etc. muss das ausführende Luftfahrtunternehmen betroffenen Passagieren die in Abs. 1 geforderte Unterstützung anbieten, möchte es sich nicht schadensersatzpflichtig machen. Erstzfähiger Schaden können auch die Kosten einen Repatriierungsflugs sein.

"Um von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen die Kosten erstattet zu bekommen, kann sich dieser Fluggast vor einem nationalen Gericht aber darauf berufen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen zum einen seiner Verpflichtung zur vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan zwecklos gewordene Reiseabschnitte und zum anderen seiner Unterstützungsverpflichtung nach Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung, einschließlich seiner Verpflichtung, die Fluggäste zu informieren, nicht nachgekommen ist. Dieser Kostenersatz muss jedoch auf das begrenzt sein, was sich unter den Umständen jedes einzelnen Falls als notwendig, angemessen und zumutbar erweist, um das Versäumnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens auszugleichen."
EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22

Abs. 1 Buchst. c

Kein zeitlicher Zusammenhang zwischen annulliertem und gewünschtem Ersatzflug

Der Wortlaut der Verordnung enthält keine zeitliche Grenzen, innerhalb derer die anzubietende Ersatzbeförderung zu erfolgen hat. Der EuGH sieht keine Notwendigkeit, eine zeitliche Grenze anzunehmen. In dem zu entscheidende Fall, EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑516/23, beanspruchten Fluggäste einen Ersatzflug mehr als zwei Jahre nach dem ursprünglich gebuchten, annullierten Flug. Maßgeblich sei, dass es verfügbare Plätze auf einem anderen Flug unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt gibt. Gleichzeitig betont der Gerichtshof, die Möglichkeit der Mitgliedsstaten, eine gewisse zeitliche Grenze durch Ausschlussfristen für Klagen schaffen.

"Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004

ist dahin auszulegen, dass

für seine Anwendung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem von einem Fluggast gewünschten anderweitigen Flug nicht erforderlich ist. Eine solche anderweitige Beförderung zum Endziel kann, vorbehaltlich verfügbarer Plätze, zu vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt verlangt werden."

EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑516/23

Abs. 3

Definition „an einem Ort, in einer Stadt oder Region“

Die Wendung „an einem Ort, in einer Stadt oder Region“ meint nicht die Verwaltungs- oder die politische Einheit unterhalb der gesamtstaatlichen Ebene. Es ist also für die Übernahmepflicht der Kosten für die Beförderung zum gebuchten Zielflughafen oder einem sonstigen vereinbarten Zielort nicht erforderlich, dass sich der planmäßige und der tatsächliche Zielflughafen im Wortsinne an einem Ort, in einer Stadt oder in einer Region – im Sinne eines gemeinsamen Landkreises – befinden. Gemeint ist vielmehr, dass sich beide Flughäfen in einer solchen räumlichen Nähe zueinander befinden, dass sie dieselbe Stadt bedienen.

"Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass bei der Umleitung eines Fluges zu einem Flughafen, der dieselbe Stadt wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bedient, die in dieser Bestimmung vorgesehene Übernahme der Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem einen zu dem anderen Flughafen nicht an die Voraussetzung geknüpft ist, dass der erste Flughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder in derselben Region wie der zweite Flughafen liegt."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19

Kostentragungspflicht des Luftfahrtunternehmens

Weicht das ausführende Luftfahrtunternehmen auf einen Flughafen aus, der zwar nicht der planmäßige Zielflughafen ist, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, muss es betroffenen Passagieren anbieten, sie an ihren gebuchten Zielflughafen (oder an einen zu vereinbarenden Ort in der Nähe) anschlusszubefördern bzw. die Kosten hierfür zu übernehmen.

"Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast im Fall der Umleitung seines Fluges und dessen Landung auf einem Flughafen, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, die Übernahme der Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder gegebenenfalls zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit ihm vereinbarten Zielort von sich aus anbieten muss."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19

Verstoß gegen Kostentragungspflicht

Bietet das ausführende Luftfahrunternehmen Passagieren, die statt zu ihrem planmäßigen, zu einem nehegelegenen Flughafen befördert werden, keine Anschlussbeförderung an ihren planmäßigen Zielflughafen an, führt dieses Versäumnis nicht automatisch zu einer Ausgleichspflicht gem. Art. 7 Abs. 1, sondern lediglich zu einem Anspruch des Fluggastes nach nationalem Recht auf Erstattung erforderlicher Mehrkosten, die ihm dadurch entstehen, dass er sich diese Beförderung selbst organisiert, indem er sich beispielsweise ein Taxi nimmt.

"Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass der Verstoß des ausführenden Luftfahrtunternehmens gegen seine Pflicht zur Übernahme der Kosten für die Beförderung eines Fluggastes vom Ankunftsflughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort dem Fluggast keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung verleiht. Hingegen begründet dieser Verstoß einen Anspruch des Fluggastes auf Erstattung der von ihm aufgewendeten Beträge, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um das Versäumnis des Luftfahrtunternehmens auszugleichen."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19

Art. 7 – Ausgleichsanspruch

Gesetzestext

(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger,

b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km,

c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.

(2) Wird Fluggästen gemäß Artikel 8 eine anderweitige Beförderung zu ihrem Endziel mit einem Alternativflug angeboten, dessen Ankunftszeit

a) bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger nicht später als zwei Stunden oder

b) bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 und 3500 km nicht später als drei Stunden oder

c) bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen nicht später als vier Stunden

nach der planmäßigen Ankunftszeit des ursprünglich gebuchten Fluges liegt, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 um 50 % kürzen.

(3) Die Ausgleichszahlungen nach Absatz 1 erfolgen durch Barzahlung, durch elektronische oder gewöhnliche Überweisung, durch Scheck oder, mit schriftlichem Einverständnis des Fluggasts, in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen.

(4) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Entfernungen werden nach der Methode der Großkreisentfernung ermittelt.

Kommentierung

Abs. 1/Abs. 2

Bestimmung der Entfernung bei einheitlich gebuchten Flügen mit Umstieg

Bei einheitlich gebuchten Flügen, die aus mindestens zwei Teilflügen bestehen, erfolgt die Bestimmung der Entfernung für diese Norm stets vom Abflugort des ersten Teilflugs aus bis zum Ankunftsort des letzten Teilflugs. Das gilt unabhängig davon, auf welchem Teilflug die Störung (Annullierung, Verspätung, Nichtbeförderung etc.) auftritt. Das gilt auch dann, wenn lediglich der letzte Teilflug betroffen ist.

"Art. 2 Buchst. b und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass im Rahmen eines aus zwei Teilflügen bestehenden einheitlich gebuchten Anschlussflugs ein Fluggast, der am Endziel eine Verspätung von drei Stunden oder mehr hat, die auf die Annullierung des zweiten Teilflugs zurückzuführen ist, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen als demjenigen, mit dem dieser Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, hätte durchgeführt werden sollen, seine Schadensersatzklage nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung gegen dieses Luftfahrtunternehmen erheben und von ihm die Leistung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausgleichszahlung verlangen kann, die auf der Grundlage der Gesamtentfernung des Anschlussflugs vom Abflugort des ersten Teilflugs bis zum Ankunftsort des zweiten Teilflugs ermittelt wird."
EuGH, Beschluss v. 22. April 2021, C-592/20

Zu beachten ist, dass keinesfalls die Enternungen der einzelnen Teilflüge zu addieren sind. Vielmehr ist maßgeblich stets die Entfernung vom ersten Flughafen des ersten Teilflugs bis zum zweiten Flughafen des letzten Teilflugs.

Abs. 2

Vorverlegte Flüge

Abs. 2, der dem ausführenden Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit gibt, fällige Ausgleichzahlungen lediglich hälftig leisten zu müssen, gilt nicht für vorverlegt Flüge.

"Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass er nicht für einen Fall gilt, in dem die Ankunftszeit eines vorverlegten Fluges innerhalb der in dieser Bestimmung genannten Grenzen liegt."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20

Der EuGH begründet dies damit, dass es der Zweck der Regelung sei, ausführende Luftfahrtunternehmen zu motivieren, von Annullierungen betroffenen Passagieren eine sehr zeitnahe Alternative anzubieten. Sie soll hingegen nicht dazu führen, dass Flüge systematisch vorverlegt werden, weniger Ausgleich leisten zu müssen.

Abs. 3

Geregelt ist die Art und Weise, wie die Ausgleichszahlung zu erfolgen hat. Wegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. a sowie Art. 10 Abs. 2 aber auch die Erstattung von Flugscheinkosten bei Annullierung, großer Verspätung sowie Downgrade. Demnach steht es im Ermessen des ausführenden Luftfahrtunternehmens, die Leistung durch Barzahlung, Überweisung oder per Scheck zu leisten.

Möchte das ausführende Luftfahrtunternehmen die Leistung in Form von Reisegutscheinen und/oder anderen Dienstleistungen vornehmen, ist dies nur unter der Bedingung zulässig, dass der betroffene Fluggast schriftlich sein Einverständnis erklärt.

Kein handschriftliches Einverständnis erforderlich – Online-Formular reicht aus

Das Erfordernis der Schriftlichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang nicht zwingend eine handschriftliche Erklärung. Es reicht daher insbesondere aus, dass der Fluggast auf der Webseite des Luftfahrtunternehmens ein entsprechendes Formular ausfüllt und sich – unter Ausschluss der Barzahlung, der Überweisung oder eines Schecks – für die Leistung durch einen Reisegutschein oder der anderen Dienstleistung entscheidet.

"Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist in Verbindung mit ihrem Art. 8 Abs. 1 Buchst. a und im Licht ihres 20. Erwägungsgrundes

dahin auszulegen, dass

im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ mit einer Erstattung der Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Online-Formular ausgefüllt und darin diese Erstattungsmodalität unter Ausschluss der Auszahlung eines Geldbetrags gewählt hat".

EuGH, Urteil v. 21. März 2024, C‑76/23

Luftfahrtunternehmen muss Fluggast vorher aufklären

An seine Entscheidung für einen Reisegutschein (oder andere Dienstleistungen) und damit gegen eine Barzahlung, Überweisung oder einen Scheck, ist der Fluggast nur gebunden, wenn er in der Lage war, seine Wahl zweckdienlich und informiert zu treffen. In diese Lage muss das Luftfahrtunternehmen ihn versetzen. Dies setzt eine klare und umfassende, daher insbesondere zutreffende, Information über die verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Erstattungsmodalitäten voraus. Dies dürfte nicht der Fall sein, wenn die Aufklärung in einer Sprache erfolgt, deren Beherrschung vom Fluggast nicht erwaret werden kann oder die Erstattung durch einen Geldbetrag gegenüber der Form des Reisegutscheins zusätzliche Schritte umfasst.

"[Dies setzt voraus, dass der Fluggast] in der Lage war, eine zweckdienliche und informierte Wahl zu treffen und somit der Erstattung seiner Flugscheinkosten in Form eines Reisegutscheins anstelle eines Geldbetrags nach Aufklärung zuzustimmen; dies setzt voraus, dass das Luftfahrtunternehmen dem Fluggast in lauterer Weise klare und umfassende Informationen über die verschiedenen ihm zur Verfügung stehenden Erstattungsmodalitäten gegeben hat."
EuGH, Urteil v. 21. März 2024, C‑76/23

Anlegen eines Treuekontos

Allein das Anlegen eines Treuekontos auf der Webseite des Luftfahrtunternehmens, auf das ein solcher Reisegutschein übertragen werden kann, soll für eine solche Annahme eines „schriftlichen Einverständnisses“ nicht ausreichen.

"Art. 8 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 7 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

im Fall der Annullierung eines Fluges durch das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht davon auszugehen ist, dass der Fluggast sein „schriftliches Einverständnis“ mit der Erstattung der Flugscheinkosten in Form von Reisegutscheinen erteilt hat, wenn er auf der Website des Luftfahrtunternehmens ein Treuekonto angelegt hat, auf das diese Gutscheine übertragen werden sollten, ohne sein Einverständnis zu dieser Form der Erstattung durch eine ausdrückliche, endgültige und eindeutige Annahme bestätigt zu haben."

EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑642/23

Art. 6 – Verspätung

Gesetzestext

(1) Ist für ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nach vernünftigem Ermessen absehbar, dass sich der Abflug

a) bei allen Flügen über eine Entfernung von 1500 km oder weniger um zwei Stunden oder mehr oder

b) bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1500 km und 3500 km um drei Stunden oder mehr oder

c) bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen um vier Stunden oder mehr

gegenüber der planmäßigen Abflugzeit verzögert, so werden den Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen

i) die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten,

ii) wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit erst am Tag nach der zuvor angekündigten Abflugzeit liegt, die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und,

iii) wenn die Verspätung mindestens fünf Stunden beträgt, die Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a) angeboten.

(2) Auf jeden Fall müssen die Unterstützungsleistungen innerhalb der vorstehend für die jeweilige Entfernungskategorie vorgesehenen Fristen angeboten werden.

Kommentierung

Ausgleichsanspruch

Sonderfall: Kein großer Zeitverlust am Endziel durch Buchung eines Ersatzflugs

Nutzt der Fluggast einen Ersatzflug, den er in der zutreffenden Erwartung gebucht hat, sein ursprünglicher Flug werde sich so sehr verspäten, dass er sein Endziel mit einem Zeitverlust von mindestens drei Stunden erreichen würde, hat er keinen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung, sofern er sein Endziel mit weniger als drei Stunden erreicht. Der EuGH begründet dies damit, dass der entscheidende Gesichtspunkt, der den Gerichtshof dazu veranlasst hat, die große Verspätung eines Fluges bei der Ankunft mit der Annullierung eines Fluges gleichzusetzen, darin bestehe, dass die Fluggäste eines Fluges mit großer Verspätung ebenso wie die Fluggäste eines annullierten Fluges einen Schaden erleiden, der in einem irreversiblen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr besteht. Tritt dieser Schaden als Folge der Eigeninitiative nicht ein, bestehe auch kein Grund, den von einer Verspätung betroffenen Fluggast mit dem einer Annullierung hinsichtlich des Ausgleichsanspruchs gleichzustellen.

"Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

sind dahin auszulegen, dass

ein Fluggast, der wegen drohender großer Verspätung des Fluges, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, bei der Ankunft am Endziel oder wegen hinreichender Anhaltspunkte für eine solche Verspätung selbst einen Ersatzflug gebucht hat und das Endziel mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit des ersten Fluges erreicht hat, keinen Ausgleichsanspruch im Sinne dieser Bestimmungen haben kann."

EuGH, Urteil v. 25. Januar 2024, C‑54/23

Diese Rechtsprechung des Gerichtshofs darf keinesfalls dahingehend missverstanden werden, dass auch der von einer Annullierung betroffene Fluggast seinen Ausgleichsanspruch verlöre, sofern er als Folge seiner Eigeninitiative nur einen geringfügigen Zeitverlust erleidet, er also sein Endziel spätestens zwei bzw. vier Stunden nach der veröffentlichten Ankunftszeit erreicht. Abgesehen davon, dass eine solche Wertung der Begründung des EuGH zuwiderliefe, der explizit auf die unterschiedliche Behandlung der beiden Tatbestände verweist, widerspräche sie Art. 3 Abs. 1 Buchst. a. Denn nach dieser Norm braucht sich der Fluggast im Falle der Annullierung seines Fluges nicht zur Abfertigung einzufinden. Entsprechend entsteht sein Ausgleichsanspruch unabhäng davon, wie er sich verhält. Entscheidend für seinen Anspruch ist einzig, ob ihm eine Ersatzbeförderung angeboten wird, die es ihm ermöglicht, sein Endziel mit einem Zeitverlust von höchstens zwei bzw. vier Stunden zu erreichen.

Art. 5 – Annullierung

Gesetzestext

(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und

c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

(2) Wenn die Fluggäste über die Annullierung unterrichtet werden, erhalten sie Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung.

(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

(4) Die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurde, trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen.

Kommentierung

Begriff der „Annullierung“

Vorverlegung des Fluges

Wird ein Flug um mehr als eine Stunde vorverlegt, wird also z.B. die Abflugzeit von 15:00 Uhr auf 13:50 Uhr geändert, ist er als „annulliert“ zu betrachten.

"Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass ein Flug als „annulliert“ zu betrachten ist, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20

Ebenso:

"Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein Flug als „annulliert“ zu betrachten ist, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn um mehr als eine Stunde vorverlegt."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑263/20

Wird ein Flug um mehr als eine Stunde vorverlegt und gilt damit als annulliert, ist der „neue“, vorverlegte Flug als Alternativflug i.S.d. Art. 8 zu werten.

Verschiebung eines Fluges

Erst ab einer Verschiebung der Flugzeiten um drei Stunden kann der Flug als annulliert gelten, soern der Flug ansonsten unverändert durchgeführt wird, also insbesondere dieselbe Flugstrecke bedient wird und die Flugnummer identisch ist.

"Art. 2 Buchst. l und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein Flug nicht als „annulliert“ im Sinne dieser Bestimmungen angesehen werden kann, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen dessen Abflugzeit ohne sonstige Änderung des Fluges um weniger als drei Stunden verschiebt."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑395/20.

Zu beachten ist, dass „verschoben“ nicht gleichbedeutend mit „verspätet“ verstanden werden kann. Sofern sich der Abflug lediglich aus tatsächlichen Gründen verzögert, ohne dass das Luftfahrtunternehmen eine neue Abflugzeit festsetzt, bleibt der Flug auch bei einer Verzögerung von drei Stunden oder mehr verspätet i.S.d. Art. 6 und gilt nicht als annulliert.

Landung auf entferntem Ausweichflughafen

Endet der Flug auf einem anderen als dem in der Buchung vorgesehenen Flughafen, gilt er grundsätzlich als annulliert. Anders verhält es sich wegen Art. 8 Abs. 3 aber, falls der Flughafen denselben Ort, dieselbe Stadt oder Region bedient.

"Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass ein Fluggast einen Ausgleichsanspruch wegen Annullierung hat, wenn sein Flug umgeleitet wurde und auf einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen landet, der nicht denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient."
EuGH, Beschluss v. 6. Oktober 2021, C‑253/21.

Nichts anderes kann für den Fall gelten, falls der Abflug von einem anderen als dem ursprünglichen Ausgangsflughafen erfolgt. Auch ein solcher Flug wäre annulliert im Sinne dieser Norm.

Landung auf nahegelegenem Ausweichflughafen

Endet der Flug abweichend hingegen auf einem Flughafen, der gem. Art. 8 Abs. 3 denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient wie jener, auf dem die Landung planmäßig hätte erfolgen sollen, liegt ausnahmsweise keine Annullierung vor. Er ist aber nicht rechtlos: Zum einen hat er die Ansprüche aus Art. 8 Abs. 3. Ob er außerdem einen Ausgleichsanspruch hat, hängt davon ab, ob sich dieser aus Verspätungsgesichtspunkten ergibt. Vgl. insoweit die Kommentierung zu Art. 6.

"Art. 5 Abs. 1 Buchst. c, Art. 7 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass ein Fluggast keinen Ausgleichsanspruch wegen Annullierung hat, wenn sein Flug umgeleitet wurde und er auf einem Flughafen gelandet ist, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient. Der Fluggast eines zu einem Ausweichflughafen, der denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bedient, umgeleiteten Fluges hat jedoch grundsätzlich einen Ausgleichsanspruch nach dieser Verordnung, wenn er sein Endziel mindestens drei Stunden nach der vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ursprünglich vorgesehenen Ankunftszeit erreicht."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19

Für den Fluggast bedeutet dies, dass er erst ab eineinem Zeitverlust von drei Stunden – und nicht bereits ab zwei Stunden – an seinem Endziel eine Ausgleichszahlung erwarten darf. Auch hängt sein Ausgleichsanspruch nicht davon ab, ob seine Ersatzbeförderung ans Endziel gem. Art. 8 Abs. 1 Buchst. b unter vergleichbaren Reisebedigungen (insbesondere auf dem Luftwege) erfolgt. In der Regel wird die Beförderung zum gebuchten Zielflughafen per Bus oder Taxi erfolgen.

Ermittlung d. Zeitverlusts bei Ausweichen auf nahen Flughafen

Die Ermittlung des Zeitverlusts, den ein Fluggast dadurch erleidet, dass er statt auf dem planmäßigen auf einem Flughafen landet, der denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, erfolgt, indem auf jenen Zeitpunkt abgestellt wird, an dem der Fluggast tatsächlich entweder jenen Flughafen erreicht, an dem seine Beförderung planmäßig enden sollte, oder einen sonstigen nahe gelegenen, den er mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen vereinbart hat.

"Die Art. 5 und 7 sowie Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass für die Ermittlung des Ausmaßes der Ankunftsverspätung, die ein Fluggast erleidet, dessen Flug umgeleitet wurde und der auf einem Flughafen gelandet ist, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, auf den Zeitpunkt abzustellen ist, an dem der Fluggast – nach Beendigung seiner Anschlussbeförderung – an dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen bzw. gegebenenfalls einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen vereinbarten Zielort tatsächlich ankommt."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19

Abs. 1 Buchst. c

Ausgleichsanspruch unmittelbar aus Verordnung

Der Anspruch auf die Ausgleichszahlung ergibt sich nicht aus dem Luftbeförderungsvertrag oder sogar aus der schuldhaften Nichterfüllung eines solchen Vertrags, sondern unmittelbar aus der Verordnung.

"Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 3 sowie Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
sind dahin auszulegen, dass

sich im Fall der Annullierung eines Flugs der Anspruch der Fluggäste gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen auf die in diesen Bestimmungen vorgesehene Ausgleichsleistung und die entsprechende Verpflichtung des ausführenden Luftfahrtunternehmens zu deren Zahlung unmittelbar aus dieser Verordnung ergeben."

EuGH, Urteil v. 29. Februar 2024, C-11/23

Abs. 1 Buchst. c Ziff. i

Keine analoge Anwendung auf Nichtbeförderungen.

Zweiwöchige Ausschlussfrist gilt nicht für den Fall der vorweggenommenen Nichtbeförderung. Siehe Kommentierung zu Art. 4 Abs. 3.

Abs. 3

Außergewöhnliche Umstände

Gewerkschaftlich organisierter Streik des eigenen Personals

Streiken Mitarbeiter des ausführenden Luftfahrtunternehmens als Folge eines regulären gewerkschaftlichen Aufrufs, begründet dies keinen außergewöhnlichen Umstand.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen, bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts – insbesondere die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist – beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine oder mehrere der für die Durchführung eines Fluges erforderlichen Beschäftigtengruppen anschließen, nicht unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift fallen."
EuGH, Urteil v. 23. März 2021, C-28/20

Bestätigt:

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass infolge des Streikaufrufs einer Gewerkschaft von Flugbegleitern und Piloten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen zur Durchsetzung der Forderungen dieser Arbeitnehmer nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fallen; ob Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern vorausgegangen sind, ist insoweit unerheblich."
EuGH, Beschluss v. 10. Januar 2022, C‑287/20
sOLIDARITÄTSSTREIK DES EIGENEN pERSONALS LÄNGER ALS ERFORDERLICH

Gewerkschaftlich organisierter Streik des eigenen Personal begründet auch dann keine außergewöhnlichen Umstände , wenn er lediglich aus Solidarität und zur Untestützung eines Streiks gegen die Mutttergesellschaft geführt wird. Das gilt selbst dann, wenn er die gewerkschaftlich angekündigte Dauer des Streiks überschreitet und mit der Muttergesellschaft bereits eine Einigung erzielt wurde.

"Art. 5 Abs. 1 Art. 3 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein Streik zur Durchsetzung der Ansprüche der Arbeitnehmer auf Vergütung und/oder Sozialleistungen, der auf Antrag einer Gewerkschaft der Belegschaft eines ausführenden Luftfahrtunternehmens in Solidarität mit dem Streik gegen die Muttergesellschaft, deren Tochtergesellschaft dieses Luftfahrtunternehmen ist, von einer für die Durchführung eines Fluges notwendigen Personalkategorie durchgeführt wird und der über den ursprünglich von der Gewerkschaft, die zum Streik aufgerufen hat, angekündigten Zeitraum hinaus andauert, obwohl inzwischen eine Einigung mit der Muttergesellschaft erzielt wurde, nicht unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung fällt."
EuGH, Urteil v. 6. Oktober 2021, C-613/20

Der Gerichtshof betont, dass eine mögliche Rechtswidrigkeit des Streiks keine Auswirkungen auf die Frage haben kann, ob er einen außergewöhnlichen Umstand darstellt. Denn die Rechtmäßigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen werde in jedem Mitgliedsstaat anders bewertet; EuGH, Urteil v. 6. Oktober 2021, C-613/20, Rn. 33. Der EuGH verweist im Übrigen auf die gernelle Abgrenzung, wonach ein ein Streik lediglich dann außergewöhnliche Umstände begründe, wenn er von außen auf das ausführende Luftfahrtunternehmen einwirkt, wie das beispielsweise bei einer Arbeitsaussetzung von Fluglotsen der Fall ist.

Kollision mit anderer Maschine am Boden

Stößt eine andere Maschine am Boden mit dem Fluggerät zusammen, das für die Durchführung eines Fluges vorgesehen ist, liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor, sofern erstens die Kollision durch die Bewegung ausschließlich der anderen Maschine verursacht wurde und zweitens diese Maschine für eine andere Fluggesellschaft im Einsatz ist.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass eine Kollision zwischen dem Höhenruder eines Flugzeugs in Parkposition und dem Winglet eines Flugzeugs einer anderen Fluggesellschaft, die durch die Bewegung des zweiten Flugzeugs verursacht wurde, unter den Begriff der „außergewöhnlichen Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt."
EuGH, Beschluss v. 14. Januar 2021, C-264/20
Ausfall der Treibstoffversorgung des Flughafens

Kann das für den Flug eingeplante Flugzeug wegen eines allgemeinen Ausfalls der Treibstoffversorgung auf dem Flughafen nicht betankt werden und obliegt die Verantwortung für die Treibstoffversorgung diesem Flughafen, liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein allgemeiner Ausfall der Treibstoffversorgung als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn der Ausgangsflughafen der betroffenen Flüge oder des betroffenen Flugzeugs für die Verwaltung des Treibstoffsystems der Flugzeuge verantwortlich ist."
EuGH, Urteil v. 7. Juli 2022, C‑308/21
Geplatzter Reifen nach Vollbremsung wegen Vogelschlags

Platzen Reifen als Folge einer Vollbremsung nach der Kollision mit einem Vogel, ist dies als außergewöhnlicher Umstand einzustufen. Unerheblich ist, ob der Vogelschlag selbst einen Schaden am Fluggerät verursacht hat und der Startabbruch im Nachhinein tatsächlich erforderlich war. Der EuGH betont, dass das Ziel der Verordnung, eine hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, nicht dazu führen dürfe, dass der Pünktlichkeit des Fluges ein höhrerer Stellenwert eingeräumt wird als die Sicherheit.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

der wegen eines Vogelschlags erfolgte Abbruch des Startvorgangs eines Flugzeugs durch eine Vollbremsung, durch die die Reifen des Flugzeugs beschädigt werden, unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift fällt."

EuGH, Beschluss v. 3. Oktober 2022, C‑302/22
Krankheit oder tod eines unverzichtbaren Besatzungsmitglieds

Fällt ein unverzichtbares Besatzungsmitglied (z.B. Pilot) kurzfristig und unerwartet wegen Krankheit oder sogar Tod aus, stellt dies keinen außergewöhnlichen Umstand dar. Denn ein solches Ereignis stellt seiner Natur oder Ursache nach ein Vorkommnis dar, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

die unerwartete Abwesenheit eines für die Durchführung eines Fluges unverzichtbaren Besatzungsmitglieds aufgrund von Krankheit oder Tod, die kurz vor dem planmäßigen Abflug eintritt, nicht unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Vorschrift fällt."

EuGH, Urteil v. 11. Mai 2023, C‑156/22 bis C‑158/22
Verstreckter Konstruktionsfehler

Ein versteckter Konstruktionsfehler erfüllt den Tatbestand des außergewöhnlichen Umstands, da das Luftfahrtunternehmen über keine Kontrollmittel verfügt, um diesen Fehler zu beheben. Das gilt auch dann, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen vor dem Zeitpunkt der Annullierung über das Vorliegen eines solchen Fehler informiert worden ist.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers am Triebwerk eines Flugzeugs, mit dem ein Flug durchgeführt werden soll, unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, selbst wenn das Luftfahrtunternehmen vom Hersteller des Triebwerks mehrere Monate vor dem betreffenden Flug über das Vorliegen eines derartigen Fehlers informiert wurde."

EuGH, Urteil v. 13. Juni 2025, C‑411/23

Entsprechend verhält es sich bei einem neu in Betrieb genommen Flugzeugtyp , wenn der Hersteller dieses Flugzeugs nach der Annullierung anerkennt, dass diese Störung durch einen versteckten Konstruktionsfehler verursacht wurde, der sämtliche Flugzeuge dieses Typs betraf und die Flugsicherheit beeinträchtigte. Denn auch in diesem Fall ist der technische Defekt – etwa durch besonders gründliche Wartung – für das Luftfahrtunternehmen nicht zu vermeiden.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

das Auftreten einer unerwarteten und neuartigen technischen Störung, die ein neues, vor Kurzem in Betrieb genommenes Flugzeugmodell betrifft und das Luftfahrtunternehmen zur Annullierung eines Fluges veranlasst, unter den Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn der Hersteller dieses Flugzeugs nach der Annullierung anerkennt, dass diese Störung durch einen versteckten Konstruktionsfehler verursacht wurde, der sämtliche Flugzeuge dieses Typs betraf und die Flugsicherheit beeinträchtigte."
Personalmangel bei Flughafenbetreiber

Verzögert sich die Abfertigung des Fluges wegen Personalmangels des Flughafenbetreibers – z.B. bei der Gepäckverladung -, kann dies einen außergewöhnlichen Umstand darstellen. Nämlich dann, das Vorkommnis nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und auch nicht von ihm zu beherrschen ist. Dies zu beurteilen, ist Sache des nationalen Gerichs.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

es sich bei einem Mangel an Personal bei dem für die Gepäckverladung in die Flugzeuge verantwortlichen Flughafenbetreiber um einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift handeln kann."

EuGH, Urteil v. 16. Mai 2024, C‑405/23
Vorangegangener Flug derselben Maschine

Außergewöhnliche Umstände können sich auf Folgeflüge desselben Fluggeräts im Rahmen der geplanten Rotation dieser Maschine erstrecken. Voraussetzung dafür ist, dass ein Kausalzusammenhang zwischen dem außergewöhnlichen Umstand auf einem früheren und dem Zeitverlust des Fluggastes an seinem Endziel als Folge einer Verspätung oder Annullierung auf einem späteren Flug einer im Voraus geplanten Rotation der Maschine besteht.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass sich ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, um sich von seiner Pflicht zu befreien, Fluggästen bei erheblich verspäteter Ankunft ihres Fluges Ausgleichszahlungen zu leisten, auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen kann, der nicht den verspäteten Flug, sondern einen vorangegangenen Flug betroffen hat, den es selbst mit demselben Flugzeug im Rahmen von dessen Vorvorvorrotation durchgeführt hat, sofern ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieses Umstands und der erheblich verspäteten Ankunft des späteren Fluges besteht, was das vorlegende Gericht insbesondere unter Berücksichtigung des Betriebsmodus des betreffenden Flugzeugs durch das betreffende ausführende Luftfahrtunternehmen zu beurteilen hat."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19

Zumutbare Maßnahmen

Um sich auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen zu können, muss das ausführende Luftfahrtunternehmen außerdem nachweisen, alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen zu haben.

Angebot frühestmöglicher Ersatzbeförderung ans Endziel

Zu den Maßnahmen, die das ausführende Luftfahrtunternehmen ergreifen muss, um sich auf außergewöhnliche Umstände berufen zu können, gehört, betroffenen Passagieren gem. Art. 8 Abs. 1 Buchst. b die frühestmögliche Ersatzbeförderung an sein Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen anzubieten. Dies schließt Flüge mit zusätzlichem, abweichendem oder weniger Umstieg ebenso ein wie solche anderer, auch konzernfremder Luftfahrtunternehmen. Dies gilt, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht nachweist, dass ein solches Angebot im dem Augenblick unzumutbar gewesen wäre.

"Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass die von einem Luftfahrtunternehmen im Fall der Annullierung des ursprünglich geplanten Fluges aufgrund außergewöhnlicher Umstände durchgeführte anderweitige Beförderung eines Fluggasts mit einem Flug, mit dem der Fluggast sein Endziel am Tag nach dem ursprünglich geplanten Ankunftstag erreicht, eine „zumutbare Maßnahme“ darstellt, die dieses Unternehmen von seiner in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichspflicht befreit, es sei denn, es bestand eine andere Möglichkeit einer anderweitigen direkten oder indirekten Beförderung mit einem von ihm selbst oder einem anderen Luftfahrtunternehmen durchgeführten Flug, der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankam, außer dieses weist nach, dass die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung für es angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dargestellt hätte, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat."
EuGH, Beschluss v. 14. Januar 2021, C-264/20

Ausnahme: Im Falle des Art. 8 Abs. 3, daher in dem Fall, dass der Flug zwar nicht am planmäßigen, aber an einem Flughafen endet, der denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region wie dieser, führt ein Verstoß des ausfertigen Luftfahrtunternehmens gegen seine Pflicht zur Anschlussbeförderung nicht automatisch zur Ausgleichspflicht; vgl. die Kommentierung zu Art. 8 Abs. 3.

Vorhalten von Reserveflugzeugen

Eine Flotte von Reserveflugzeugen vorzuhalten, kann erforderlich sein, damit das ausführende Luftfahrtunternehmen für sich in Anspruch nehmen darf, alle zumutbaren Maßnehmen ergriffen zu haben, um den Eintritt und die Folgen eines „außergewöhnlichen Umstands“ zu vermeiden. Ob ein solches Erfordernis besteht, ist Frage des Einzelfalls und vom nationalen Gericht zu entscheiden. Dabei kann es eine Rolle spielen, ob das Luftfahrtunternehmen mit dem Ausfall einer seiner Maschinen rechnen musste, weil es z.B. vorher über das Vorliegend eines versteckten Konstruktionsfehlers informiert worden war. Maßstab ist die technische, wirtschaftliche und personelle Tragbarkeit für das Unternehmen.

"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004

ist dahin auszulegen, dass

ein Luftfahrtunternehmen im Rahmen „aller zumutbaren Maßnahmen“, die es zu ergreifen hat, um den Eintritt und die Folgen eines „außergewöhnlichen Umstands“ im Sinne dieser Bestimmung, wie etwa die Entdeckung eines versteckten Konstruktionsfehlers des Triebwerks eines seiner Flugzeuge, zu vermeiden, eine vorbeugende Maßnahme ergreifen kann, die darin besteht, eine Flotte von Ersatzflugzeugen in Reserve zu halten, vorausgesetzt, dass diese Maßnahme angesichts der Kapazitäten des Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt technisch und wirtschaftlich durchführbar ist."

EuGH, Urteil v. 13. Juni 2025, C‑411/23
Personalmangel bei Flughafenbetreiber

Stellt der Mangel des Flughafenbetreibers an Personal einen außergwöhnlichen Umstand dar, muss das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen, dass es nicht in der Lage war, diesen Mangel auszugleichen, etwa durch Inanspruchnahme eines anderen Dienstleisters. Das gilt insbesondere für den Fall, dass dem Luftfahrtunernehmen der Personalmangel des Flughafenbetreibers vorher bereits bekannt war.

"Das Luftfahrtunternehmen, dessen Flug aufgrund eines solchen außergewöhnlichen Umstands eine große Verspätung hatte, muss jedoch zur Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste gemäß Art. 7 der Verordnung nachweisen, dass sich dieser Umstand auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären und dass es gegen dessen Folgen die der Situation angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen hat."
EuGH, Urteil v. 13. Juni 2025, C‑411/23

Abs. 4

Mitteilung der Annullierung an den Reisevermittler/-veranstalter

Entscheidend für die Ermittlung des Zeitpunkts der Unterrichtung des Fluggastes über die Annullierung seines Fluges ist, wann ihn die Mitteilung erreicht. Nicht ausreichend ist, dass lediglich das Reisebüro bzw. der Reiseveranstalter vom Luftfahrtunternehmen über die Streichung des Fluges in Kenntnis gesetzt wird. Das gilt auch dann, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen gar nicht über die Kontaktdaten des Fluggastes verfügt, bzw. es nicht weiß, dass die hinterlegten Kontaktdaten dem Vermittler bzw. Reiseveranstalter gehören. Wird lediglich der Reisevermittler/-veranstalter (rechtzeitig) über die Annullierung informiert, weil dieser die Information nicht oder nur verspätet an den Fluggast weiterreicht, kann sich das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht gem. Abs. 1 Buchst. c darauf berufen, ihn rechtzeitig informiert zu haben. Er muss, sofern er sich nicht gem. Abs. 3 auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen darf, die Ausgleichszahlung leisten.

"Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

sind dahin auszulegen, dass

das ausführende Luftfahrtunternehmen verpflichtet ist, die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausgleichszahlungen im Fall einer Flugannullierung, über die der Fluggast nicht mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet worden ist, zu leisten, wenn das Luftfahrtunternehmen die Information rechtzeitig an die einzige ihm bei der Buchung mitgeteilte E‑Mail‑Adresse gesandt hat, ohne indes zu wissen, dass über diese Adresse nur der Reisevermittler, über den die Buchung vorgenommen worden war, und nicht unmittelbar der Fluggast erreicht werden konnte, und der Reisevermittler die Information dem Fluggast nicht rechtzeitig übermittelt hat."

EuGH, Beschluss v. 27. September 2022, C‑307/21

Allerdings weist der Gerichtshof darauf hin, dass für den Fall angenommen werden kann, dass der Fluggast sehr wohl rechtzeitig über die Annullierung informiert sein kann, falls er „den Vermittler ausdrücklich ermächtigt [hat], die vom ausführenden Luftfahrtunternehmen übermittelten Informationen entgegenzunehmen, und diese Ermächtigung dem Luftfahrtunternehmen bekannt ist“; EuGH, Beschluss v. 27. September 2022, C‑307/21, Rn. 27.

Entsprechend:

"Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass davon auszugehen ist, dass ein Fluggast, der über einen Vermittler einen Flug gebucht hat, nicht über die Annullierung dieses Fluges unterrichtet wurde, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen die Verständigung von der Annullierung dem Vermittler, über den der Vertrag über die Beförderung im Luftverkehr mit dem Fluggast geschlossen wurde, mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit übermittelt hat, der Vermittler den Fluggast aber nicht innerhalb der in der genannten Bestimmung vorgesehenen Frist über die Annullierung unterrichtet hat und der Fluggast den Vermittler nicht ausdrücklich ermächtigt hat, die vom ausführenden Luftfahrtunternehmen übermittelten Informationen entgegenzunehmen."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑263/20

Nationalen Recht zur Umsetzung von Art. 11 der Richtlinie 2000/31

Sofern nationales Recht zur Umsetzung von Art. 11 der Richtlinie 2000/31 vorsieht, dass eine Zugangsvermutung für rechtlich erhebliche elektronische Dokumente besteht, was Buchungsänderungen seitens des Luftfahrtunternehmen einschließen kann, ändert dies nichts daran, dass sich die Rechtzeitigkeit der Unterrichtung des Fluggastes über die Annullierung seines Fluges, ausschließlich nach dieser Verordnung bestimmt. Sieht nationales Recht vor, dass ein Dokument als zugegangen gilt, sobald es über die entsprechende elektronische Plattform abrufbar ist, gilt der Fluggast nicht bereits deshalb als unterrichtet, weil er die Möglichkeit gehabt hätte, das Dokument rechtzeitig abzurufen.

"Die Einhaltung der Verpflichtung, den Fluggast rechtzeitig über die Annullierung seines Fluges zu unterrichten, ist ausschließlich anhand von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 4 zu beurteilen."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑263/20

Anders, so der EuGH, könne es sich darstellen, sofern der Fluggast den Vermittler seines Fluges ausdrücklich ermächtigt hat, die vom ausführenden Luftfahrtunternehmen übermittelten Informationen entgegenzunehmen, und diese Ermächtigung dem Luftfahrtunternehmen bekannt ist; EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑263/20, Rn. 44.