Bestätigung bisheriger Entscheidungen zum „ausführenden Luftfahrtunternehmen“ und zur für die Höhe der Ausgleichszahlung anzusetzenden Entfernung bei einheitlich gebuchten Flügen mit Umstieg.
Leitsatz der Kanzlei Woicke
n der Rechtssache C‑592/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Düsseldorf (Deutschland) mit Entscheidung vom 18. September 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 11. November 2020, in dem Verfahren
NT,
RV,
BS,
ER
gegen
British Airways plc
erlässt
DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra sowie der Richter D. Šváby (Berichterstatter) und S. Rodin,
Generalanwalt: J. Richard de la Tour,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 Buchst. b und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen NT, RV, BS und ER (im Folgenden zusammen: betroffene Fluggäste) und der British Airways plc, einem Luftfahrtunternehmen, über die Höhe einer Ausgleichszahlung, die von ihnen wegen der durch British Airways erfolgten Annullierung des Teilflugs, den dieses Unternehmen im Rahmen eines Anschlussflugs hätte durchführen sollen, verlangt wird.
Rechtlicher Rahmen
3 Der erste Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 lautet:
„Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen im vollen Umfang Rechnung getragen werden.“
4 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Verordnung bestimmt:
„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
…
b) ‚ausführendes Luftfahrtunternehmen‘ ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt;
…“
5 Art. 3 („Anwendungsbereich“) Abs. 5 der Verordnung sieht vor:
„Diese Verordnung gilt für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfüllt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.“
6 Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) dieser Verordnung lautet:
„(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
a) 250 [Euro] bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
b) 400 [Euro] bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
c) 600 [Euro] bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.
…
(4) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Entfernungen werden nach der Methode der Großkreisentfernung ermittelt.“
7 Art. 13 („Regressansprüche“) der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt:
„In Fällen, in denen ein ausführendes Luftfahrtunternehmen eine Ausgleichszahlung leistet oder die sonstigen sich aus dieser Verordnung ergebenden Verpflichtungen erfüllt, kann keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht des Luftfahrtunternehmens beschränkt, nach geltendem Recht bei anderen Personen, auch Dritten, Regress zu nehmen. Insbesondere beschränkt diese Verordnung in keiner Weise das Recht des ausführenden Luftfahrtunternehmens, Erstattung von einem Reiseunternehmen oder einer anderen Person zu verlangen, mit der es in einer Vertragsbeziehung steht. Gleichfalls kann keine Bestimmung dieser Verordnung in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie das Recht eines Reiseunternehmens oder eines nicht zu den Fluggästen zählenden Dritten, mit dem das ausführende Luftfahrtunternehmen in einer Vertragsbeziehung steht, beschränkt, vom ausführenden Luftfahrtunternehmen gemäß den anwendbaren einschlägigen Rechtsvorschriften eine Erstattung oder Entschädigung zu verlangen.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
8 Die betroffenen Fluggäste buchten beim Luftfahrtunternehmen Virgin Atlantic Airways und über einen Reiseveranstalter einen Flug von Los Angeles (Vereinigte Staaten) nach Düsseldorf (Deutschland) über London (Vereinigtes Königreich).
9 Für diesen einheitlich gebuchten Anschlussflug war der erste, von Virgin Atlantic Airways durchgeführte, Teilflug von Los Angeles nach London für den 23. Juli 2017 mit Abflug um 21:10 Uhr (Ortszeit) und Landung am 24. Juli 2017 um 15:25 Uhr (Ortszeit) vorgesehen. Für den zweiten, von British Airways durchgeführten, Teilflug von London nach Düsseldorf war am 24. Juli 2017 der Abflug um 17:25 Uhr (Ortszeit) und die Landung um 19:50 Uhr (Ortszeit) vorgesehen.
10 Während der erste Teil dieses Anschlussflugs gemäß Flugplan durchgeführt wurde und London zur planmäßigen Ankunftszeit erreicht wurde, wurde sein zweiter Teil annulliert. Die betroffenen Fluggäste erreichten Düsseldorf daher erst am 25. Juli 2017 mit einem von British Airways bereitgestellten Ersatzflug.
11 Nach der Methode der Großkreisentfernung beträgt die Entfernung zwischen Los Angeles und Düsseldorf 8 983 Kilometer, während sich die Entfernung zwischen London und Düsseldorf nach dieser Methode auf 503 Kilometer beläuft.
12 Angesichts der Weigerung von British Airways, ihnen die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehene Ausgleichszahlung in Höhe von 600 Euro pro Person zu leisten, soweit sich ihr Antrag auf einen Flug von mehr als 3 500 Kilometer bezog, riefen die betroffenen Fluggäste das Amtsgericht Düsseldorf (Deutschland) an. Vor diesem Gericht machte British Airways geltend, dass sie, da sie nur für den Teilflug von London nach Düsseldorf verantwortlich sei, nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung nur eine Ausgleichszahlung in Höhe von 250 Euro pro Fluggast schulde.
13 Mit Urteil vom 3. Februar 2020 gab das Amtsgericht der von den betroffenen Fluggästen erhobenen Klage auf Ausgleichszahlung teilweise statt und sprach ihnen einen Betrag von 250 Euro pro Person zu.
14 Die betroffenen Fluggäste legten gegen dieses Urteil Berufung beim vorlegenden Gericht, dem Landgericht Düsseldorf (Deutschland), ein und beantragten, British Airways zu verurteilen, an sie einen zusätzlichen Betrag von jeweils 350 Euro zu zahlen, so dass der von ihnen in erster Instanz geforderte Betrag von 600 Euro erreicht wird. Die Berechnung der für die Ausgleichszahlung zu berücksichtigenden Entfernung sei nämlich nicht die Großkreisentfernung zwischen London und Düsseldorf, sondern die Gesamtentfernung der beiden Teilflüge, d. h. des gesamten Anschlussfluges.
15 Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits davon abhänge, ob British Airways als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 nicht nur für den Teilflug zwischen London und Düsseldorf, sondern für den gesamten Anschlussflug zwischen Los Angeles und Düsseldorf angesehen werden könne, da die betroffenen Fluggäste keine unmittelbare Vertragsbeziehung mit diesem Unternehmen gehabt hätten.
16 In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht angesichts des Urteils vom 11. Juli 2019, České aerolinie (C‑502/18, EU:C:2019:604), ob das ausführende Luftfahrtunternehmen nur dann für die gesamte Strecke verantwortlich sei, wenn es auch das vertragschließende Luftfahrtunternehmen sei, bei dem der gesamte Anschlussflug einheitlich gebucht wurde.
17 Unter diesen Umständen hat das Landgericht Düsseldorf das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
- Ist Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass ein Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen einer Flugverbindung mit Umsteigen, welche bei einem anderen Luftfahrtunternehmen als Vertragspartner einheitlich gebucht wurde, von zwei Teilstrecken nur die zweite Teilstrecke planmäßig durchführen soll, als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ für die Gesamtstrecke anzusehen ist, wenn der erste Teilflug von dem vertraglichen Luftfahrtunternehmen pünktlich durchgeführt wird und der Flug auf der zweiten Teilstrecke von dem anderen Luftfahrtunternehmen annulliert wird?
- Bejahendenfalls: Schuldet das nichtvertragliche ausführende Luftfahrtunternehmen, welches lediglich die annullierte Teilstrecke durchführen sollte, dem Fluggast in diesem Fall eine Ausgleichsleistung gemäß Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004, welche der Höhe nach der Entfernung auf der Gesamtstrecke zwischen dem ersten Abflugort und dem letzten Zielort entspricht? Zu den Vorlagefragen
18 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die betroffenen Fluggäste der Vorlageentscheidung zufolge einen einheitlich gebuchten Anschlussflug wahrnahmen, der somit für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs als Gesamtheit anzusehen ist (vgl. u. a. Urteil vom 31. Mai 2018, Wegener, C‑537/17, EU:C:2018:361, Rn. 18 und 19), und sie ihr Endziel mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden gegenüber ihrer ursprünglichen Planung erreichten.
19 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seinen beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, wissen möchte, ob Art. 2 Buchst. b und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass im Rahmen eines aus zwei Teilflügen bestehenden einheitlich gebuchten Anschlussflugs ein Fluggast, der am Endziel eine Verspätung von drei Stunden oder mehr hat, die auf die Annullierung des zweiten Teilflugs zurückzuführen ist, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen als demjenigen, mit dem dieser Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, hätte durchgeführt werden sollen, gegen dieses Luftfahrtunternehmen seine Schadensersatzklage nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung erheben und von diesem die Leistung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausgleichszahlung verlangen kann, die auf der Grundlage der Gesamtentfernung des Anschlussflugs vom Abflugort des ersten Teilflugs bis zum Ankunftsort des zweiten Teilflugs ermittelt wird.
20 Gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann oder die Beantwortung einer solchen Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden.
21 Diese Bestimmung ist im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens anzuwenden.
22 Die Antwort auf diese Frage setzt in einem ersten Schritt die Feststellung voraus, ob in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Luftfahrtunternehmen wie British Airways, das mit den betroffenen Fluggästen keinen Beförderungsvertrag geschlossen und das den Teilflug annulliert hat, den es im Rahmen des vertragsgegenständlichen Anschlussflugs hätte durchführen sollen, als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 eingestuft werden kann.
23 Nach dieser Bestimmung ist ein „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ ein „Luftfahrtunternehmen, das im Rahmen eines Vertrags mit einem Fluggast oder im Namen einer anderen – juristischen oder natürlichen – Person, die mit dem betreffenden Fluggast in einer Vertragsbeziehung steht, einen Flug durchführt oder durchzuführen beabsichtigt“.
24 Diese Definition stellt demnach zwei kumulative Voraussetzungen für die Einstufung eines Luftfahrtunternehmens als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ auf, nämlich zum einen die Durchführung des betreffenden Fluges und zum anderen das Bestehen eines mit einem Fluggast abgeschlossenen Vertrags (Urteil vom 4. Juli 2018, Wirth u. a., C‑532/17, EU:C:2018:527, Rn. 18).
25 Wie der Vorlageentscheidung zu entnehmen ist, steht im vorliegenden Fall fest, dass British Airways tatsächlich einen Flug im Rahmen eines von Virgin Atlantic Airways mit den betroffenen Fluggästen geschlossenen Beförderungsvertrags durchgeführt hat. Ferner ergibt sich aus der Vorlageentscheidung, dass British Airways, auch wenn diese Fluggäste keinen Beförderungsvertrag mit ihr geschlossen hatten, im Rahmen einer Vertragsbeziehung mit Virgin Atlantic Airways handelte.
26 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 3 Abs. 5 Satz 2 der Verordnung Nr. 261/2004 bei einem ausführenden Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht, davon ausgegangen wird, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, wenn es Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung erfüllt. In einer Situation, in der im Rahmen eines einheitlich gebuchten und aus zwei Teilflügen bestehenden Anschlussflugs der erste Teilflug aufgrund eines Vertragsverhältnisses von einem anderen ausführenden Luftfahrtunternehmen als demjenigen durchgeführt wird, das den Beförderungsvertrag mit dem betreffenden Fluggast geschlossen und den zweiten Teilflug durchgeführt hat, bleibt dieses zuletzt genannte Unternehmen demnach vertraglich mit diesem Fluggast verbunden, und zwar auch im Rahmen der Durchführung des ersten Teilflugs (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 12. November 2020, KLM Royal Dutch Airlines, C‑367/20, EU:C:2020:909, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Zudem stützt auch das im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 genannte Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, den Schluss, dass im Fall eines einheitlich gebuchten Anschlussflugs das ausführende Luftfahrtunternehmen, das an der Durchführung mindestens eines Teils dieses Anschlussflugs beteiligt ist, zur Leistung der Ausgleichszahlung nach dieser Verordnung verpflichtet ist, auch wenn es nicht den Beförderungsvertrag mit dem Fluggast geschlossen hat. Diese Lösung ermöglicht es nämlich, dem betroffenen Fluggast einen vereinfachten Zugang zu dieser Ausgleichszahlung sicherzustellen, unabhängig davon, ob eine Vertragsbeziehung zwischen diesem Fluggast und dem Luftfahrtunternehmen besteht, das einen der Teile dieses Anschlussflugs durchgeführt hat.
28 Daher ist in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ein Luftfahrtunternehmen wie British Airways, das den von ihm sicherzustellenden Teilflug des Anschlussflugs annulliert hat, als „ausführendes Luftfahrtunternehmen“ im Sinne von Art. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 anzusehen.
29 In einem zweiten Schritt ist festzustellen, ob der Fluggast, der am Endziel eine Verspätung von drei Stunden oder mehr hat, die auf die Annullierung des zweiten Teils eines Anschlussflugs zurückzuführen ist, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen als demjenigen, mit dem dieser Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, durchgeführt wurde, die Leistung der in Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichszahlung verlangen kann, deren Betrag nicht auf der Grundlage der Entfernung dieses zweiten Teilflugs, sondern auf der Grundlage der Gesamtentfernung des Anschlussflugs vom Abflugort des ersten Teilflugs bis zum Ankunftsort des zweiten Teilflugs berechnet wird.
30 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 einen Anspruch der Fluggäste auf Ausgleichszahlungen vorsieht, die je nach der von den betreffenden Flügen erfassten Entfernung von 250 Euro bis 600 Euro betragen können, unter Zugrundelegung des letzten Zielorts des betreffenden Fluggasts und mit der Maßgabe, dass diese Entfernung gemäß Art. 7 Abs. 4 dieser Verordnung nach der Methode der Großkreisentfernung zu berechnen ist (Urteil vom 7. September 2017, Bossen u. a., C‑559/16, EU:C:2017:644, Rn. 17, und Beschluss vom 30. April 2020, Flightright, C‑939/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:316, Rn. 15).
31 Außerdem können, wie sich aus der in Rn. 18 des vorliegenden Beschlusses angeführten Rechtsprechung ergibt, zwei oder mehr einheitlich gebuchte Flüge als „direkte Anschlussflüge“ eingestuft werden und stellen somit für die Zwecke des in der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen Ausgleichsanspruchs von Fluggästen eine Gesamtheit dar.
32 Insoweit hat der Gerichtshof u. a. entschieden, dass es im Fall eines Fluges mit Anschlussflügen für die Zwecke der in Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 vorgesehenen pauschalen Ausgleichszahlung allein auf die Verspätung ankommt, die gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit am Endziel, d. h. dem Zielort des letzten Fluges des betreffenden Fluggasts, festgestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Folkerts, C‑11/11, EU:C:2013:106, Rn. 35, und Beschluss vom 30. April 2020, Flightright, C‑939/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:316, Rn. 20).
33 Im Übrigen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass bei der Bestimmung der Höhe der Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 nur die Entfernung zwischen dem Ort des ersten Abflugs und dem Endziel zu berücksichtigen ist, ungeachtet etwaiger Anschlussflüge (Urteil vom 7. September 2017, Bossen u. a., C‑559/16, EU:C:2017:644, Rn. 29, und Beschluss vom 30. April 2020, Flightright, C‑939/19, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:316, Rn. 21).
34 Im vorliegenden Fall steht zum einen fest, dass die betroffenen Fluggäste bei der Ankunft an ihrem Endziel eine große Verspätung hatten, die ihren Anspruch auf eine Ausgleichszahlung nach Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 begründet. Zum anderen steht auch fest, dass diese Fluggäste für den gesamten Anschlussflug eine einheitliche Buchung vorgenommen hatten.
35 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Fluggast, der am Endziel eine Verspätung von drei Stunden oder mehr hat, die auf die Annullierung des zweiten Teils eines Anschlussflugs zurückzuführen ist, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen als demjenigen, mit dem dieser Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, durchgeführt wurde, die Leistung der in Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichszahlung verlangen kann, deren Betrag auf der Grundlage der Gesamtentfernung des Anschlussflugs, d. h. vom Abflugort des ersten Teilflugs bis zum Ankunftsort des zweiten Teilflugs berechnet wird.
36 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. b und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass im Rahmen eines aus zwei Teilflügen bestehenden einheitlich gebuchten Anschlussflugs ein Fluggast, der am Endziel eine Verspätung von drei Stunden oder mehr hat, die auf die Annullierung des zweiten Teilflugs zurückzuführen ist, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen als demjenigen, mit dem dieser Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, hätte durchgeführt werden sollen, seine Schadensersatzklage nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung gegen dieses Luftfahrtunternehmen erheben und von ihm die Leistung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausgleichszahlung verlangen kann, die auf der Grundlage der Gesamtentfernung des Anschlussflugs vom Abflugort des ersten Teilflugs bis zum Ankunftsort des zweiten Teilflugs ermittelt wird.
Kosten
37 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 2 Buchst. b und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 sind dahin auszulegen, dass im Rahmen eines aus zwei Teilflügen bestehenden einheitlich gebuchten Anschlussflugs ein Fluggast, der am Endziel eine Verspätung von drei Stunden oder mehr hat, die auf die Annullierung des zweiten Teilflugs zurückzuführen ist, der von einem anderen Luftfahrtunternehmen als demjenigen, mit dem dieser Fluggast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, hätte durchgeführt werden sollen, seine Schadensersatzklage nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung gegen dieses Luftfahrtunternehmen erheben und von ihm die Leistung der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausgleichszahlung verlangen kann, die auf der Grundlage der Gesamtentfernung des Anschlussflugs vom Abflugort des ersten Teilflugs bis zum Ankunftsort des zweiten Teilflugs ermittelt wird.
Unterschriften
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