Artikel 8 – Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung

(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen

a) – der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit

– einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt,

b) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder

c) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.

(2) Absatz 1 Buchstabe a) gilt auch für Fluggäste, deren Flüge Bestandteil einer Pauschalreise sind, mit Ausnahme des Anspruchs auf Erstattung, sofern dieser sich aus der Richtlinie 90/314/EWG ergibt.

(3) Befinden sich an einem Ort, in einer Stadt oder Region mehrere Flughäfen und bietet ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einem Fluggast einen Flug zu einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen an, so trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen die Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem anderen Flughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort.

Abs. 1 Buchst. b – anderweitige Beförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt

Vorverlegter Flug

Wird ein Flug vom ausführenden Luftfahrtunternehmen mit der Folge um mehr als eine Stunde vorverlegt, dass er als annulliert i.S.d. VO gilt (vgl. Kommentierung zu Art. 2 Buchst. l), kann die Mitteilung über die Vorverlegung das Angebot einer ersatzweisen Beförderung darstellen; EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20.

"die vor Reisebeginn an den Fluggast gerichtete Mitteilung über die Vorverlegung des Fluges [kann] ein Angebot einer anderweitigen Beförderung im Sinne der letztgenannten Bestimmung darstellen"; EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20.

Dies kann in seltenen Fällen dazu führen, dass die Ausgleichspflicht entfällt. Etwa unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1c ii, daher bei Vorverlegung des Fluges um mehr als 60, aber weniger als 120 Minuten, sofern Fluggast hierüber zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der geplanten Abflugzeit unterrichtet wird. Auch Auswirkungen auf die Schadensersatzpflicht des auführenden Luftfahrtunternehmens sind denkbar, da es verpflichtet ist, betroffenen Fluggästen im Falle der Annullierung eines Fluges u.a. die frühestmögliche Ersatzbeförderung an ihr Endziel anzubieten.

Anderweitige Beförderung

Keine „Repatriierungsflüge“

Nur kommerzielle Flüge kommen für die Durchführung einer anderweitigen Beförderung in Betracht; EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22, Rn. 30. Ein sogenannter Repatriierungsflug stellt keinen solchen kommerziellen Flug dar, da „seine Organisation grundsätzlich im Kontext einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme eines Staates erfolgt“, EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22, Rn. 31 f.

"Nach alledem sind Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass ein Repatriierungsflug, der von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme im Anschluss an die Annullierung eines Fluges organisiert wird, keine „anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung darstellt, die das ausführende Luftfahrtunternehmen einem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, anbieten muss"; EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22.

Schadensersatz

Die VO enthält keine Regelung, auf deren Grundlage Schadensersatz gefordert werden könnte. Insbesondere kann Art. 8 Abs. 1 nicht entsprechend ausgelegt werden. Das gilt auch für „Repatriierungsflüge“; EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22, Rn. 37.

"einem Fluggast, der sich im Anschluss an die Annullierung seines Rückflugs selbst für einen von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme organisierten Repatriierungsflug anmeldet und dafür einen verpflichtenden Unkostenbeitrag an diesen Staat leisten muss, [steht] gegenüber dem Luftfahrtunternehmen kein Anspruch auf Erstattung dieser Kosten auf der Grundlage dieser Verordnung zu"; EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22. 

Allerdings kann sich ein Schadensersatzanspruch gegen das ausführende Luftfahreunternehmen daraus ergeben, dass es insbesondere seinen Unterstützungsverpflichtungen aus Art. 8 nicht nachkommt (Erstattung von Flugscheinkosten – ggf. mit Rückflug zum Ausgangsort -, Ersatzbeförderung zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder – vorbehaltlich Verfügbarkeit – zu einem beliebig späteren Zeitpunkt. Hierzu gehört explizit die Verpflichtung, betroffene Fluggäste entsprechend zu informieren; EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22, Rn. 48. Beschränkt ist der Kostenersatz , was sich jeweils „als notwendig, angemessen und zumutbar erweist, um das Versäumnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens auszugleichen“: EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22, Rn. 48.

"Um von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen die Kosten erstattet zu bekommen, kann sich dieser Fluggast vor einem nationalen Gericht aber darauf berufen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen zum einen seiner Verpflichtung zur vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan zwecklos gewordene Reiseabschnitte und zum anderen seiner Unterstützungsverpflichtung nach Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung, einschließlich seiner Verpflichtung, die Fluggäste zu informieren, nicht nachgekommen ist. Dieser Kostenersatz muss jedoch auf das begrenzt sein, was sich unter den Umständen jedes einzelnen Falls als notwendig, angemessen und zumutbar erweist, um das Versäumnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens auszugleichen"; EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22.

Abs. 3 – Angebot für Flug zu anderem Flughafen am selben Ortes, in derselben Stadt oder Region

Derselbe Ort, dieselbe Stadt oder Region

Entscheidend ist, dass beide Flughäfen, also der planmäßige und der Ausweichflughafen, denselben Ort, dieselbe Stadt oder Region bedienen. Nicht erforderlich ist, dass beide Flughäfen in derselben Gebietskörperschaft, demselben Bundesland etc. liegen. Der Begriff der „Region“ ist also geographisch zu verstehen, nicht politisch; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19. Die Entscheidung legt aber nahe, dass sich beide Flughäfen im selben Staat befinden müssen, damit die Regelung greift; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19, Rn. 24.

"bei der Umleitung eines Fluges zu einem Flughafen, der dieselbe Stadt wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bedient, [ist] die in dieser Bestimmung vorgesehene Übernahme der Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem einen zu dem anderen Flughafen nicht an die Voraussetzung geknüpft [...], dass der erste Flughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder in derselben Region wie der zweite Flughafen liegt"; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19.

Kostentragungspflicht für Anschlussbeförderung

Im Falle der Ausweichlandung auf einem Flughafen am Ort, in derselben Stadt oder Region des planmäßigen Zielflughafens muss das ausführende Luftfahrtunternehmen betroffenen Fluggäste von sich aus anbieten, die Kosten für die Anschlussbeförderung zum planmäßigen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahegelegenen Ort, auf den Unternehmen und Fluggast sich verständigt haben, zu übernehmen; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19.

"das ausführende Luftfahrtunternehmen [muss] dem Fluggast im Fall der Umleitung seines Fluges und dessen Landung auf einem Flughafen, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, die Übernahme der Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder gegebenenfalls zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit ihm vereinbarten Zielort von sich aus anbieten"; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19.

Verstoß gegen Pflicht zur Kostenübernahme für Anschlussbeföderung begründet Schadensersatz-, aber keine Ausgleichspflicht

Verstößt das auführende Luftfahrtunternehmen gegen seine Pflicht, betroffenen Fluggästen die Kosten ihrer Anschlussbeförderung (Flug, Taxi, Bahn, Bus, Schiff usw.) zum planmäßigen Zielflughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder Region bzw. zu einem sonstigen in der Nähe vereinbarten Ziel zu übernehmen, führt dies nicht „automtisch“ zu einem Anspruch auf Ausgleichszahlungen gem. Art. 7; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19. Insofern verhält es sich anders, in den Fällen der Annullierung oder der großen Verspätung, in denen das ausführende Luftfahrtunternehmen unter Umständen verpflichtet ist, Betroffenen die frühestmögliche Ersatzbeförderung an ihr Endziel anzubieten, möchte es der Ausgleichspflicht entgehen. Allerdings können betroffene Fluggäste Erstattung jener Beträge verlangen, „die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um das Versäumnis des Luftfahrtunternehmens auszugleichen.“

"der Verstoß des ausführenden Luftfahrtunternehmens gegen seine Pflicht zur Übernahme der Kosten für die Beförderung eines Fluggastes vom Ankunftsflughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort dem Fluggast [verleiht] keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung [...]. Hingegen begründet dieser Verstoß einen Anspruch des Fluggastes auf Erstattung der von ihm aufgewendeten Beträge, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um das Versäumnis des Luftfahrtunternehmens auszugleichen"; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19. 

Bedeutung der Regelung für die Einordnung eines Fluges als „annulliert“

Die Regelung hat Auswirkungen auf die Frage, ob ein Flug, der auf einem Ausweichflughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder Region wie der geplante Zielflughafen endet. Vgl. hierzu die Kommentierung zu Art. 2 l.