EuGH, Urteil v. 16. Mai 2024, C‑405/23

Fehlendes Personal für Gepäckverladung kann außergewöhnlichen Umstand darstellen.

Leitsatz der Kanzlei Woicke

In der Rechtssache C‑405/23

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Landgericht Köln (Deutschland) mit Beschluss vom 22. Juni 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juli 2023, in dem Verfahren

Touristic Aviation Services Ltd

gegen

Flightright GmbH

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin O. Spineanu-Matei, des Richters S. Rodin (Berichterstatter) und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: A. Rantos,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

– der Touristic Aviation Services Ltd, vertreten durch Rechtsanwältin S. Hendrix,

– der Flightright GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte M. Michel und R. Weist,

– der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,

– der Europäischen Kommission, vertreten durch G. von Rintelen und N. Yerrell als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Touristic Aviation Services Ltd (im Folgenden: TAS) und der Flightright GmbH über eine Ausgleichszahlung, die Flightright aus abgetretenem Recht der Fluggäste von TAS als ausführendem Luftfahrtunternehmen wegen der großen Verspätung eines Fluges fordert.

Unionsrecht

3 Art. 5 der Verordnung Nr. 261/2004 sieht vor:

„(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

…“

4 Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt:

„Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:

a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,

b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,

c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.

…“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

5 Am 4. Juli 2021 kam es bei einem von TAS ausgeführten Flug vom Flughafen Köln-Bonn (Deutschland) zum Flughafen Kos (Griechenland) (im Folgenden: in Rede stehender Flug) bei der Ankunft zu einer Verspätung von drei Stunden und 49 Minuten.

6 Diese Verspätung war erstens darauf zurückzuführen, dass schon der Vorflug eine Verspätung von einer Stunde und 17 Minuten hatte, weil Check‑In-Personal fehlte, zweitens, dass die Gepäckverladung in das Flugzeug dadurch verzögert wurde, dass auch bei dem für diese Dienstleistung verantwortlichen Flughafenbetreiber Personal fehlte, was zu einer weiteren Verzögerung von zwei Stunden und 13 Minuten führte, und drittens, dass die nach Schließen der Türen eingetretenen Wetterbedingungen den Start noch einmal um 19 Minuten verzögerten.

7 In diesem Zusammenhang erhob Flightright, an die eine Reihe von Fluggästen des in Rede stehenden Fluges ihre Ausgleichsansprüche abgetreten hatten, beim Amtsgericht Köln (Deutschland) Klage auf Verurteilung von TAS, gemäß der Verordnung Nr. 261/2004 800 Euro pro Fluggast zuzüglich Zinsen an sie zu zahlen. Flightright machte vor diesem Gericht geltend, dass die Verspätung des in Rede stehenden Fluges nicht durch außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 dieser Verordnung gerechtfertigt werden könne.

8 Das Gericht gab der Klage statt, ohne die letztgenannte Frage zu prüfen, da diese Verspätung jedenfalls von TAS zu vermeiden gewesen sei, wenn sie alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen hätte, um ihr zu begegnen. Da TAS selbst geltend gemacht habe, dass sie erst spät Slots für den Vorflug erhalten habe, sei daraus nämlich zu folgern, dass sie gewusst habe, dass der in Rede stehende Flug eine Verspätung von mindestens drei Stunden haben werde. TAS habe jedoch nicht nachgewiesen, dass sie dann alle ihr zur Verfügung stehenden zumutbaren Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Reduzierung dieser Verspätung ergriffen habe.

9 TAS legte gegen das Urteil beim Landgericht Düsseldorf (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Berufung ein. Dieses ist der Ansicht, dass das erstinstanzliche Gericht die Frage hätte prüfen müssen, ob der Personalmangel bei dem Betreiber des Flughafens Köln-Bonn, der von TAS als Ursache für die große Verspätung des in Rede stehenden Fluges angeführt worden sei, einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 darstelle.

10 Bei Bejahung dieser Frage sollte TAS Flightright nämlich keinen Ausgleich leisten müssen, da der ihr zurechenbare Teil der Verspätung des in Rede stehenden Fluges drei Stunden nicht erreiche. Wäre hingegen davon auszugehen, dass die Gepäckverladung unabhängig davon, ob sie vom Flughafenbetreiber durchgeführt werde, Teil der normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei, könnte ein Personalmangel bei dem Flughafenbetreiber nicht als „außergewöhnlicher Umstand“ qualifiziert werden. In diesem Fall wäre die Verurteilung von TAS zu bestätigen, da allein die wetterbedingte Verzögerung nach Schließen der Türen um 19 Minuten berücksichtigt werden könnte und eine TAS zurechenbare Verspätung von mehr als drei Stunden verbliebe.

11 Einerseits könnte der Gepäckverladedienst nach Auffassung des vorlegenden Gerichts der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs zuzuordnen sein, weil er unmittelbar der Erfüllung der den Fluggästen von dem betreffenden Luftfahrtunternehmen geschuldeten Beförderungsleistung diene, unabhängig davon, ob die Erbringung dieser Dienstleistung dem Flughafenbetreiber obliege. Andererseits könnte sich gerade aus dem Umstand, dass diese Dienstleistung vom Flughafenbetreiber und nicht vom Luftfahrtunternehmen selbst oder von einem von ihm bestimmten Dienstleister erbracht werde, ergeben, dass der Mangel an Verladepersonal als für das Luftfahrtunternehmen unbeherrschbare „externe Ursache“ anzusehen wäre, die auf dessen normale Tätigkeit eingewirkt habe, was die Befreiung von seiner Ausgleichspflicht rechtfertigen würde. In Deutschland werde diese Dienstleistung nämlich grundsätzlich von einem Flughafenunternehmen erbracht, auch wenn die Nutzer eines Flughafens nach der deutschen Regelung die Bodenabfertigungsdienste entweder selbst durchführen oder von einem Dienstleister ihrer Wahl durchführen lassen könnten.

12 Unter diesen Umständen hat das Landgericht Köln beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen, dass es sich bei einem Mangel an Personal bei dem Flughafenbetreiber oder einem von dem Flughafenbetreiber beauftragten Unternehmen für die von diesem zu erbringende Gepäckverladung um einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne dieser Vorschrift handelt, der von außen unbeherrschbar auf die normale Tätigkeit des diesen Dienst des Flughafenbetreibers/des von diesem beauftragten Unternehmens nutzenden Luftfahrtunternehmens einwirkt, oder ist die Gepäckverladung durch den Flughafenbetreiber/ein von diesem beauftragtes Unternehmen und ein bei diesem bestehender Mangel an Verladepersonal der normalen Ausübung der Tätigkeit dieses Luftfahrtunternehmens zuzurechnen, so dass eine Exkulpation nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 nur dann in Betracht kommt, wenn der Grund für den Personalmangel einen außergewöhnlichen Umstand im Sinne dieser Vorschrift darstellt?

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

13 Flightright hält das Vorabentscheidungsersuchen für unzulässig, da es eine für die Beantwortung der Vorlagefrage erforderliche Angabe nicht enthalte, nämlich, ob TAS aufgrund ihrer vertraglichen Beziehung Kontrolle über den für die Gepäckverladung in die Flugzeuge verantwortlichen Betreiber des Flughafens Köln-Bonn ausübe.

14 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs allein Sache des nationalen Gerichts ist, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt, wobei für die Fragen eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt. Der Gerichtshof ist folglich grundsätzlich gehalten, über die ihm vorgelegte Frage zu befinden, wenn sie die Auslegung oder die Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts betrifft, es sei denn, dass die erbetene Auslegung offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, dass das Problem hypothetischer Natur ist oder dass der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der Frage erforderlich sind (Urteil vom 22. Februar 2024, Unedic, C‑125/23, EU:C:2024:163, Rn. 35).

15 Im vorliegenden Fall gibt das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen zwar nicht an, ob TAS eine tatsächliche Kontrolle über den Betreiber des Flughafens Köln-Bonn ausübt oder nicht, dies hindert den Gerichtshof jedoch nicht daran, die Vorlagefrage unter Berücksichtigung dieser beiden Möglichkeiten sachdienlich zu beantworten.

16 Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zur Vorlagefrage

17 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass es sich bei einem Mangel an Personal bei dem für die Gepäckverladung in die Flugzeuge verantwortlichen Flughafenbetreiber um einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift handeln kann.

18 Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Art. 5 und 7 der Verordnung Nr. 261/2004 im Licht des Grundsatzes der Gleichbehandlung dahin auszulegen sind, dass die Fluggäste verspäteter Flüge im Hinblick auf die Anwendung des in Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichsanspruchs den Fluggästen annullierter Flüge gleichgestellt werden können und diesen Ausgleichsanspruch geltend machen können, wenn sie wegen eines verspäteten Fluges einen Zeitverlust von drei Stunden oder mehr erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen (Urteil vom 25. Januar 2024, Laudamotion und Ryanair, C‑54/23, EU:C:2024:74, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19 Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 haben die von einem bei der Ankunft am Endziel um drei Stunden oder mehr verspäteten Flug betroffenen Fluggäste demzufolge gegen das ausführende Luftfahrtunternehmen einen Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung, es sei denn, sie wurden zuvor innerhalb der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i bis iii der Verordnung vorgesehenen Fristen über die Verspätung unterrichtet.

20 Eine solche Verspätung begründet jedoch dann keinen Ausgleichsanspruch der Fluggäste, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ergriffen worden wären (Urteil vom 7. Juli 2022, SATA International – Azores Airlines [Ausfall des Betankungssystems], C‑308/21, EU:C:2022:533, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

21 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs werden als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 Vorkommnisse angesehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind und ihr Vorliegen von Fall zu Fall zu beurteilen ist (Urteil vom 11. Mai 2023, TAP Portugal [Tod des Kopiloten], C‑156/22 bis C‑158/22, EU:C:2023:393, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22 Im vorliegenden Fall ist die bei der Ankunft des in Rede stehenden Fluges festgestellte Verspätung von mehr als drei Stunden zwar auf mehrere Gründe zurückzuführen, die Vorlagefrage betrifft jedoch ausschließlich die Verspätung, die mit dem Mangel an Personal verbunden ist, das vom Flughafenbetreiber für die Gepäckverladung eingesetzt wird.

23 Als Erstes hat der Gerichtshof zu der Voraussetzung, dass das in Rede stehende Vorkommnis seiner Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist, in Bezug auf das Betanken eines Flugzeugs mit Treibstoff entschieden, dass dieser Vorgang zwar grundsätzlich zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens gehört, ein im Rahmen des Betankungsvorgangs aufgetretenes Problem, das auf einem allgemeinen Ausfall des Treibstoffsystems beruhte, das vom Flughafen verwaltet wurde, diese Voraussetzung jedoch erfüllte, da ein solches Vorkommnis nicht als untrennbar mit dem Betrieb des Flugzeugs, das einen verspäteten Flug durchgeführt hat, verbunden angesehen werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, SATA International – Azores Airlines [Ausfall des Betankungssystems], C‑308/21, EU:C:2022:533, Rn. 22 und 23).

24 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, in Anbetracht der Umstände des Ausgangsverfahrens zu beurteilen, ob im vorliegenden Fall die bei der Gepäckverladung festgestellten Mängel als allgemeine Mängel im Sinne der in der vorhergehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung anzusehen sind. Wäre dies der Fall, könnten solche Mängel daher weder ihrer Natur noch ihrer Ursache nach ein Vorkommnis darstellen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist.

25 Als Zweites ist zu der Voraussetzung, dass das in Rede stehende Vorkommnis von dem betreffenden ausführenden Luftfahrtunternehmen nicht tatsächlich beherrschbar ist, darauf hinzuweisen, dass Vorkommnisse mit „interner“ Ursache von Vorkommnissen zu unterscheiden sind, deren Ursache für das Luftfahrtunternehmen „extern“ ist. Unter diesen Begriff fallen als sogenannte „externe“ Ereignisse, diejenigen Ereignisse, die auf die Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens und auf äußere Umstände zurückzuführen sind, die in der Praxis mehr oder weniger häufig vorkommen, aber von einem Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf ein Naturereignis oder die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreifen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Treibstoffsystem eines Flughafens, das von dessen Betreiber oder einem Dritten verwaltet wird, allgemein ausfällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, SATA International – Azores Airlines [Ausfall des Betankungssystems], C‑308/21, EU:C:2022:533, Rn. 25 und 26).

26 Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Gepäckverladung in das Flugzeug von TAS wegen des Mangels an Personal, das vom Betreiber des Flughafens Köln-Bonn für diesen Vorgang eingesetzt werde, verzögert worden sei.

27 Es ist Sache dieses Gerichts, angesichts der Umstände des Ausgangsverfahrens zu beurteilen, ob die bei der Gepäckverladung am Flughafen Köln-Bonn festgestellten Mängel von TAS nicht beherrschbar waren. Dies wäre insbesondere dann nicht der Fall, wenn TAS befugt wäre, eine tatsächliche Kontrolle über den Betreiber dieses Flughafens auszuüben.

28 Sollte das vorlegende Gericht der Auffassung sein, dass die große Verspätung des in Rede stehenden Fluges tatsächlich auf außergewöhnliche Umstände im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 zurückzuführen war, wird es ferner zu beurteilen haben, ob das Luftfahrtunternehmen angesichts sämtlicher Umstände des Ausgangsrechtsstreits sowie der von dem betreffenden Luftfahrtunternehmen vorgelegten Nachweise, nachgewiesen hat, dass sich diese Umstände auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären und dass es gegen dessen Folgen die der Situation angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen – ohne angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer – ergriffen hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2022, SATA International – Azores Airlines [Ausfall des Betankungssystems], C‑308/21, EU:C:2022:533, Rn. 27).

29 Insoweit wäre z. B. dann davon auszugehen, dass das Luftfahrtunternehmen in der Lage gewesen wäre, die bei der Gepäckverladung festgestellte Verspätung zu verhindern, wenn es ihm möglich gewesen wäre, für diesen Vorgang zu dem Zeitpunkt, zu dem es wusste oder hätte wissen müssen, dass der Flughafenbetreiber nicht über ausreichende Kapazitäten verfügte, um diese Dienstleistungen unverzüglich zu erbringen, die Dienste eines anderen Dienstleisters in Anspruch zu nehmen, der über diese Kapazitäten verfügte.

30 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass es sich bei einem Mangel an Personal bei dem für die Gepäckverladung in die Flugzeuge verantwortlichen Flughafenbetreiber um einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift handeln kann. Das Luftfahrtunternehmen, dessen Flug aufgrund eines solchen außergewöhnlichen Umstands eine große Verspätung hatte, muss jedoch zur Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste gemäß Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 nachweisen, dass sich dieser Umstand auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären und dass es gegen dessen Folgen die der Situation angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen hat.

Kosten

31 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91

ist dahin auszulegen, dass

es sich bei einem Mangel an Personal bei dem für die Gepäckverladung in die Flugzeuge verantwortlichen Flughafenbetreiber um einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne dieser Vorschrift handeln kann. Das Luftfahrtunternehmen, dessen Flug aufgrund eines solchen außergewöhnlichen Umstands eine große Verspätung hatte, muss jedoch zur Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen an die Fluggäste gemäß Art. 7 der Verordnung nachweisen, dass sich dieser Umstand auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären und dass es gegen dessen Folgen die der Situation angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen hat.

Spineanu-Matei

Rodin

Rossi

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Mai 2024.

Der Kanzler

Die Kammerpräsidentin

A. Calot Escobar

O. Spineanu-Matei

Quelle:

https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=261%252F2004&docid=286148&pageIndex=0&doclang=de&mode=req&dir=&occ=first&part=1&cid=7284012#ctx1