Ausfall der vom Flughafen betriebenen Betankungsanlage stellt außergewöhnlichen Umstand dar.
Leitsatz der Kanzlei Woicke
In der Rechtssache C‑308/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Judicial da Comarca dos Açores (Juízo Local Cível de Ponta Delgada – Juiz 4) (Bezirksgericht Azoren, Lokale Abteilung für Zivilsachen von Ponta Delgada – Dezernat 4, Portugal) mit Entscheidung vom 25. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Mai 2021, in dem Verfahren
KU,
OP,
GC
gegen
SATA International – Azores Airlines SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Jääskinen, der Präsidentin der Dritten Kammer K. Jürimäe (Berichterstatterin) und des Richters N. Piçarra,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, C. Chambel Alves, A. Luz und P. Pisco Santos als Bevollmächtigte,
– der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, J. Heitz und M. Hellmann als Bevollmächtigte,
– der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Santiago de Albuquerque und K. Simonsson als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen KU, OP und GC auf der einen und der SATA International – Azores Airlines SA (im Folgenden: SATA International) auf der anderen Seite über den Ausgleichsanspruch von Fluggästen nach dieser Verordnung infolge eines allgemeinen Ausfalls des Betankungssystems eines Flughafens, der zu einer Flugverspätung von mehr als drei Stunden bzw. zur Annullierung des Fluges geführt hat.
Rechtlicher Rahmen
3 In den Erwägungsgründen 1, 14 und 15 der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:
„(1) Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
…
(14) Wie nach dem [am 28. Mai 1999 in Montreal geschlossenen, von der Europäischen Gemeinschaft am 9. Dezember 1999 unterzeichneten und mit dem Beschluss 2001/539/EG des Rates vom 5. April 2001 (ABl. 2001, L 194, S. 38) in ihrem Namen genehmigten Übereinkommen zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr] sollten die Verpflichtungen für ausführende Luftfahrtunternehmen in den Fällen beschränkt oder ausgeschlossen sein, in denen ein Vorkommnis auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Solche Umstände können insbesondere bei politischer Instabilität, mit der Durchführung des betreffenden Fluges nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwarteten Flugsicherheitsmängeln und den Betrieb eines ausführenden Luftfahrtunternehmens beeinträchtigenden Streiks eintreten.
(15) Vom Vorliegen außergewöhnlicher Umstände sollte ausgegangen werden, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeugs zu einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt, obgleich vom betreffenden Luftfahrtunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, um die Verspätungen oder Annullierungen zu verhindern.“
4 Art. 5 („Annullierung“) der Verordnung Nr. 261/2004 bestimmt:
„(1) Bei Annullierung eines Fluges [wird] den betroffenen Fluggästen
…
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,
i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder
ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder
iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.
…
(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
…“
5 In Art. 7 („Ausgleichsanspruch“) der Verordnung Nr. 261/2004 heißt es:
„(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
a) 250 [Euro] bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger,
b) 400 [Euro] bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km,
c) 600 [Euro] bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen.
Bei der Ermittlung der Entfernung wird der letzte Zielort zugrunde gelegt, an dem der Fluggast infolge der Nichtbeförderung oder der Annullierung später als zur planmäßigen Ankunftszeit ankommt.
…“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
6 GC erwarb einen Flugschein für den von SATA International am 10. Mai 2017 durchgeführten Flug S4321, mit Abflug von Lissabon (Portugal) um 12.50 Uhr und Ankunft am selben Tag am Flughafen Ponta Delgada (Azoren, Portugal) um 14.15 Uhr (jeweils Ortszeit). GC erreichte den Bestimmungsort um 19.30 Uhr, d. h. mit einer Verspätung von fünf Stunden und 15 Minuten gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit.
7 KU buchte eine aus mehreren Teilstrecken bestehenden Flugreise, die es ihm ermöglichte, am 10. Mai 2017 von Lissabon über Ponta Delgada nach Santa Maria (Azoren, Portugal) zu reisen. Dieser Flug mit Anschlussflug, dem eine einzige Buchung zugrunde lag, bestand aus zwei von SATA International durchgeführten Flügen, nämlich dem Flug S4321 und dem Flug SP107, dessen Abflug für den selben Tag um 18.45 Uhr (Ortszeit) vorgesehen war. Wegen der verspäteten Ankunft des Fluges S4321 konnte KU den Flug SP107 nach Santa Maria nicht antreten.
8 OP erwarb einen Flugschein für den von SATA International am 10. Mai 2017 durchgeführten Flug S4142, mit Abflug von Pico (Azoren, Portugal) um 17.35 Uhr und Ankunft in Lissabon um 21.05 Uhr (jeweils Ortszeit). Nachdem der Flug S4142 annulliert worden war, wurde OP am 10. Mai 2017 auf den Flug S4136 mit Abflug um 21.25 Uhr von Terceira (Azoren, Portugal) nach Lissabon umgebucht.
9 Die Verspätung des Fluges S4321 und die Annullierung des Fluges S4142 waren durch einen plötzlichen und unvorhergesehenen Ausfall des Betankungssystems des Flughafens Lissabon verursacht worden, der sich am 10. Mai 2017 ab 13.19 Uhr ereignet hatte.
10 Dieser Ausfall, der dazu geführt hatte, dass der gesamte Flugbetrieb dieses Flughafens umorganisiert worden war, machte es notwendig, auf in der Nähe des Flughafens gelegene Treibstofflager zurückzugreifen.
11 GC, KU und OP stellten auf der Grundlage der Verordnung Nr. 261/2004 bei SATA International jeweils einen Antrag auf Ersatz des Schadens, der GC und KU durch eine Flugverspätung von mehr als drei Stunden und OP durch die Annullierung eines Fluges entstanden war, die ebenfalls zu einer Ankunftsverspätung von mehr als drei Stunden geführt hatte. SATA International lehnte diese Anträge mit der Begründung ab, dass ihr diese Verspätungen nicht zuzurechnen, sondern auf einen Ausfall des Betankungssystems des Flughafens zurückzuführen seien, der im Übrigen unvorhergesehen und unerwartet gewesen sei.
12 Die Kläger des Ausgangsverfahrens erhoben daraufhin Klage beim Tribunal Judicial da Comarca dos Açores (Juízo Local Cível de Ponta Delgada – Juiz 4) (Bezirksgericht Azoren, Lokale Abteilung für Zivilsachen von Ponta Delgada – Dezernat 4, Portugal). Dieses Gericht fragt sich, ob dieser Ausfall einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 darstellt, der für SATA International haftungsbefreiende Wirkung hätte. Es möchte insbesondere wissen, wie der Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung auszulegen ist, wenn wie im vorliegenden Fall die Verspätung von mehr als drei Stunden oder die Annullierung eines Fluges durch einen Ausfall der Treibstoffversorgung auf dem Ausgangsflughafen der betroffenen Flüge bzw. des betroffenen Flugzeugs verursacht wird und dieser Flughafen für die Verwaltung des Treibstoffsystems verantwortlich ist.
13 Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs fragt sich das vorlegende Gericht, ob eine Situation wie die in der vorstehenden Randnummer beschriebene unter den Begriff „außergewöhnlicher Umstand“ fällt oder als Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens anzusehen ist, so dass dieses Luftfahrtunternehmen sich in einer solchen Situation nicht von seiner Verpflichtung zur Leistung von Ausgleichszahlungen befreien könnte.
14 Unter diesen Umständen hat das Tribunal Judicial da Comarca dos Açores (Juízo Local Cível de Ponta Delgada – Juiz 4) (Bezirksgericht Azoren, Lokale Abteilung für Zivilsachen von Ponta Delgada – Dezernat 4, Portugal) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Stellt eine Verspätung von mehr als drei Stunden oder eine Annullierung von Flügen, die durch einen Ausfall der Treibstoffversorgung auf dem Ausgangsflughafen verursacht wird, wenn dieser Flughafen für die Verwaltung des Treibstoffsystems verantwortlich ist, einen „außergewöhnlichen Umstand“ im Sinne und für die Zwecke von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dar?
Zur Vorlagefrage
15 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein allgemeiner Ausfall der Treibstoffversorgung als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn der Ausgangsflughafen der betroffenen Flüge bzw. des betroffenen Flugzeugs für die Verwaltung des Treibstoffsystems für Flugzeuge verantwortlich ist.
16 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 für den Fall der Annullierung eines Fluges vorsieht, dass den betroffenen Fluggästen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung eingeräumt wird, es sei denn, sie wurden über diese Annullierung innerhalb der in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i) bis iii) vorgesehenen Fristen unterrichtet.
17 Nach Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit deren Erwägungsgründen 14 und 15 ist das ausführende Luftfahrtunternehmen von dieser Ausgleichspflicht befreit, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf „außergewöhnliche Umstände“ zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.
18 Der Gerichtshof hat entschieden, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen bei Eintritt eines solchen Umstands nachweisen muss, dass es die der Situation angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden personellen, materiellen und finanziellen Mittel eingesetzt hat, um zu vermeiden, dass dieser zur Annullierung des betreffenden Fluges führt. Jedoch können von ihm keine angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbaren Opfer verlangt werden (Urteil vom 23. März 2021, Airhelp, C‑28/20, EU:C:2021:226, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).
19 Im Übrigen hat der Gerichtshof ebenfalls entschieden, dass den Fluggästen, wenn sie bei der Ankunft eine große – d. h. drei Stunden oder mehr betragende – Verspätung ihres Fluges erleiden, ein Ausgleichsanspruch auf der Grundlage von Art. 7 der Verordnung Nr. 261/2004 zusteht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 60 und 61, sowie vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a., C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657, Rn. 34 und 40). Eine solche Verspätung begründet jedoch dann keinen Ausgleichsanspruch der Fluggäste, wenn das Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären (Urteile vom 19. November 2009, Sturgeon u. a., C‑402/07 und C‑432/07, EU:C:2009:716, Rn. 69, sowie vom 23. Oktober 2012, Nelson u. a., C‑581/10 und C‑629/10, EU:C:2012:657, Rn. 40).
20 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs werden als „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 Vorkommnisse angesehen, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens sind und von ihm nicht tatsächlich beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind und ihr Vorliegen von Fall zu Fall zu beurteilen ist (Urteil vom 23. März 2021, Airhelp, C‑28/20, EU:C:2021:226, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
21 Als Erstes ist daher im vorliegenden Fall zu prüfen, ob ein allgemeiner Ausfall der Treibstoffversorgung seiner Natur oder Ursache nach ein Vorkommnis darstellen kann, das nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist, wenn der Ausgangsflughafen der betroffenen Flüge bzw. des betroffenen Flugzeugs für die Verwaltung des Treibstoffsystems verantwortlich ist.
22 Da Treibstoff für die Beförderung von Fluggästen im Luftverkehr unentbehrlich ist, gehört das Betanken mit Treibstoff grundsätzlich zur normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens. Somit kann ein technisches Problem, das bei einem in Zusammenarbeit mit dem Personal des betreffenden Luftfahrunternehmens durchgeführten Betankungsvorgang aufgetreten ist, ein Vorkommnis darstellen, das Teil der normalen Ausübung dieser Tätigkeit ist (vgl. entsprechend Urteil vom 4. April 2019, Germanwings, C‑501/17, EU:C:2019:288, Rn. 30).
23 Beruht dieses Problem mit der Treibstoffversorgung dagegen auf einem allgemeinen Ausfall des Versorgungssystems, das vom Flughafen verwaltet wird, ist es von dem in der vorstehenden Randnummer genannten Fall zu unterscheiden, da ein solches Vorkommnis nicht einem technischen Problem gleichgestellt werden kann, das seiner Natur nach auf ein einziges Flugzeug beschränkt ist. Dieses Problem mit dem Betanken kann somit nicht als untrennbar mit dem Betrieb des Flugzeugs, das den annullierten Flug hätte durchführen sollen oder das den verspäteten Flug durchgeführt hat, verbunden angesehen werden (vgl. entsprechend Urteil vom 26. Juni 2019, Moens, C‑159/18, EU:C:2019:535, Rn. 18). Daher kann dieses Vorkommnis weder seiner Natur noch seiner Ursache nach ein Vorkommnis darstellen, das Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist.
24 Da die beiden Bedingungen des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 kumulativ sind, ist jedoch als Zweites zu prüfen, ob dieses Vorkommnis vom betreffenden Luftfahrtunternehmen in keiner Weise tatsächlich beherrschbar ist.
25 Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum Begriff „außergewöhnliche Umstände“ im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004, dass Vorkommnisse mit im Hinblick auf das ausführende Luftfahrtunternehmen „interner“ Ursache von solchen mit „externer“ Ursache zu unterscheiden sind (Urteil vom 23. März 2021, Airhelp, C‑28/20, EU:C:2021:226, Rn. 39). Unter diesen Begriff fallen als sogenannte „externe“ Ereignisse, diejenigen Ereignisse, die auf die Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens und auf äußere Umstände zurückzuführen sind, die in der Praxis mehr oder weniger häufig vorkommen, aber vom Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar sind, weil sie auf ein Naturereignis oder die Handlung eines Dritten, etwa eines anderen Luftfahrtunternehmens oder einer öffentlichen oder privaten Stelle, zurückgehen, die in den Flug- oder den Flughafenbetrieb eingreifen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. März 2021, Airhelp, C‑28/20, EU:C:2021:226, Rn. 40 und 41).
26 Dementsprechend ist, wenn das Treibstoffsystem eines Flughafens von Letzterem oder einem Dritten verwaltet wird, der allgemeine Ausfall der Treibstoffversorgung als ein Vorkommnis mit im Hinblick auf das Luftfahrtunternehmen externer Ursache anzusehen, das somit von ihm nicht tatsächlich zu beherrschen ist.
27 Das Luftfahrtunternehmen, dessen Flug aufgrund eines außergewöhnlichen Umstands eine große Verspätung hatte oder annulliert wurde, muss zur Befreiung von seiner Ausgleichspflicht gemäß Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit den Erwägungsgründen 14 und 15 dieser Verordnung nachweisen, dass sich dieser Umstand auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären und dass es gegen dessen Folgen die der Situation angemessenen Vorbeugungsmaßnahmen ergriffen hat. Wie jedoch aus den Rn. 17 bis 19 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu beurteilen, ob das Luftfahrtunternehmen angesichts sämtlicher Umstände des Ausgangsrechtsstreits sowie der von dem betreffenden Luftfahrtunternehmen vorgelegten Nachweise, in Einklang insbesondere mit dem im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 261/2004 genannten Ziel, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste sicherzustellen, solche Maßnahmen – ohne angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht tragbare Opfer – ergriffen hat, insbesondere, indem es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt hat, um eine zumutbare, zufriedenstellende und frühestmögliche anderweitige Beförderung der durch eine große Verspätung oder Annulierung eines Fluges betroffenen Fluggäste sicherzustellen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 30. März 2022, Orbest, C‑659/21, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:254, Rn. 26).
28 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein allgemeiner Ausfall der Treibstoffversorgung als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn der Ausgangsflughafen der betroffenen Flüge oder des betroffenen Flugzeugs für die Verwaltung des Treibstoffsystems der Flugzeuge verantwortlich ist.
Kosten
29 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Achte Kammer) für Recht erkannt:
Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass ein allgemeiner Ausfall der Treibstoffversorgung als „außergewöhnlicher Umstand“ im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden kann, wenn der Ausgangsflughafen der betroffenen Flüge oder des betroffenen Flugzeugs für die Verwaltung des Treibstoffsystems der Flugzeuge verantwortlich ist.
Unterschriften
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