Gesetzestext
(1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so können Fluggäste wählen zwischen
a) - der binnen sieben Tagen zu leistenden vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten nach den in Artikel 7 Absatz 3 genannten Modalitäten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für bereits zurückgelegte Reiseabschnitte, wenn der Flug im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan des Fluggastes zwecklos geworden ist, gegebenenfalls in Verbindung mit
- einem Rückflug zum ersten Abflugort zum frühestmöglichen Zeitpunkt,
b) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt oder
c) anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt nach Wunsch des Fluggastes, vorbehaltlich verfügbarer Plätze.
(2) Absatz 1 Buchstabe a) gilt auch für Fluggäste, deren Flüge Bestandteil einer Pauschalreise sind, mit Ausnahme des Anspruchs auf Erstattung, sofern dieser sich aus der Richtlinie 90/314/EWG ergibt.
(3) Befinden sich an einem Ort, in einer Stadt oder Region mehrere Flughäfen und bietet ein ausführendes Luftfahrtunternehmen einem Fluggast einen Flug zu einem anderen als dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen an, so trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen die Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem anderen Flughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort.
Kommentierung
Abs. 1 Buchst. b
Vorverlegung des Flugs kann Angebot anderweitiger Beförderung sein
Wird Fluggast vor Reisebeginn über die Vorverlegung seines Fluges unterrichtet, kann dies das Angebot einer anderweitigen Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt darstellen.
"Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 261/2004 sind dahin auszulegen, dass die vor Reisebeginn an den Fluggast gerichtete Mitteilung über die Vorverlegung des Fluges ein Angebot einer anderweitigen Beförderung im Sinne der letztgenannten Bestimmung darstellen kann."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20
Repatriierungsflug braucht nicht angeboten zu werden
Bei einem „Repatriierungsflug“, der von einem Mitgliedstaat im Rahmen einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme organisiert wird (z.B. bei Unruhen, Krieg, Naturkatastrophen oder einer Pandemie), handelt es sich nicht um einen kommerziellen Flug. Die Pflicht, eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen anzubieten, beschränkt sich aber auf kommerzielle Flüge; EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22, Rn. 31. Entsprechend braucht er vom ausführenden Luftfahrtunternehmen im Falle einer Annullierung oder Nichtbeförderung betroffenen Fluggästen auch nicht angeboten zu werden.
"Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
sind dahin auszulegen, dass
ein Repatriierungsflug, der von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme im Anschluss an die Annullierung eines Fluges organisiert wird, keine „anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung darstellt, die das ausführende Luftfahrtunternehmen einem Fluggast, dessen Flug annulliert wurde, anbieten muss."
EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22
Keine Anspruchsrundlage für Kostenerstattung eines Repatriierungsflugs
Die Verordnung selbst, insbesondere diese Norm, stellt keine Anspruchslage dar, auf deren Grundlage die Kosten für einen sogenannten Retatriierungsflug, der von einem Mitgliedstaat im Rahmen einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme organisiert wird (z.B. bei Unruhen, Krieg, Naturkatastrophen oder einer Pandemie), verlangt werden könnten.
"Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
einem Fluggast, der sich im Anschluss an die Annullierung seines Rückflugs selbst für einen von einem Mitgliedstaat im Zusammenhang mit einer konsularischen Unterstützungsmaßnahme organisierten Repatriierungsflug anmeldet und dafür einen verpflichtenden Unkostenbeitrag an diesen Staat leisten muss, gegenüber dem Luftfahrtunternehmen kein Anspruch auf Erstattung dieser Kosten auf der Grundlage dieser Verordnung zusteht."
EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22
Allerdings weist der EuGH in dieser Entscheidung nachdrücklich darauf hin, dass Erstattung nach nationalem Recht im Rahmen dessen verlangt werden kann, was notwendig und angemessen ist, sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen seinen Unterstützungsverpflichtungen aus Abs. 1 nicht nachgekommen ist. Dies betrifft neben der Notwendigkeit, betroffenen Fluggästen im Falle der Annullierung etc. eine anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen anzubieten, auch den Fall, dass ihnen keine (anteilige) Erstattung ihrer ursprünglichen Flugscheinkosten angeboten wird. Mit anderen Worten: Im Falle der Annullierung eines Fluges etc. muss das ausführende Luftfahrtunternehmen betroffenen Passagieren die in Abs. 1 geforderte Unterstützung anbieten, möchte es sich nicht schadensersatzpflichtig machen. Erstzfähiger Schaden können auch die Kosten einen Repatriierungsflugs sein.
"Um von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen die Kosten erstattet zu bekommen, kann sich dieser Fluggast vor einem nationalen Gericht aber darauf berufen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen zum einen seiner Verpflichtung zur vollständigen Erstattung der Flugscheinkosten zu dem Preis, zu dem der Flugschein erworben wurde, für nicht zurückgelegte Reiseabschnitte sowie für im Hinblick auf den ursprünglichen Reiseplan zwecklos gewordene Reiseabschnitte und zum anderen seiner Unterstützungsverpflichtung nach Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung, einschließlich seiner Verpflichtung, die Fluggäste zu informieren, nicht nachgekommen ist. Dieser Kostenersatz muss jedoch auf das begrenzt sein, was sich unter den Umständen jedes einzelnen Falls als notwendig, angemessen und zumutbar erweist, um das Versäumnis des ausführenden Luftfahrtunternehmens auszugleichen."
EuGH, Urteil v. 8. Juni 2023, C‑49/22
Abs. 1 Buchst. c
Kein zeitlicher Zusammenhang zwischen annulliertem und gewünschtem Ersatzflug
Der Wortlaut der Verordnung enthält keine zeitliche Grenzen, innerhalb derer die anzubietende Ersatzbeförderung zu erfolgen hat. Der EuGH sieht keine Notwendigkeit, eine zeitliche Grenze anzunehmen. In dem zu entscheidende Fall, EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑516/23, beanspruchten Fluggäste einen Ersatzflug mehr als zwei Jahre nach dem ursprünglich gebuchten, annullierten Flug. Maßgeblich sei, dass es verfügbare Plätze auf einem anderen Flug unter vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt gibt. Gleichzeitig betont der Gerichtshof, die Möglichkeit der Mitgliedsstaten, eine gewisse zeitliche Grenze durch Ausschlussfristen für Klagen schaffen.
"Art. 8 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
für seine Anwendung das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen dem annullierten Flug und dem von einem Fluggast gewünschten anderweitigen Flug nicht erforderlich ist. Eine solche anderweitige Beförderung zum Endziel kann, vorbehaltlich verfügbarer Plätze, zu vergleichbaren Reisebedingungen zu einem späteren Zeitpunkt verlangt werden."
EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑516/23
Abs. 3
Definition „an einem Ort, in einer Stadt oder Region“
Die Wendung „an einem Ort, in einer Stadt oder Region“ meint nicht die Verwaltungs- oder die politische Einheit unterhalb der gesamtstaatlichen Ebene. Es ist also für die Übernahmepflicht der Kosten für die Beförderung zum gebuchten Zielflughafen oder einem sonstigen vereinbarten Zielort nicht erforderlich, dass sich der planmäßige und der tatsächliche Zielflughafen im Wortsinne an einem Ort, in einer Stadt oder in einer Region – im Sinne eines gemeinsamen Landkreises – befinden. Gemeint ist vielmehr, dass sich beide Flughäfen in einer solchen räumlichen Nähe zueinander befinden, dass sie dieselbe Stadt bedienen.
"Art. 8 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass bei der Umleitung eines Fluges zu einem Flughafen, der dieselbe Stadt wie der in der ursprünglichen Buchung vorgesehene Zielflughafen bedient, die in dieser Bestimmung vorgesehene Übernahme der Kosten für die Beförderung des Fluggastes von dem einen zu dem anderen Flughafen nicht an die Voraussetzung geknüpft ist, dass der erste Flughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder in derselben Region wie der zweite Flughafen liegt."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19
Kostentragungspflicht des Luftfahrtunternehmens
Weicht das ausführende Luftfahrtunternehmen auf einen Flughafen aus, der zwar nicht der planmäßige Zielflughafen ist, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, muss es betroffenen Passagieren anbieten, sie an ihren gebuchten Zielflughafen (oder an einen zu vereinbarenden Ort in der Nähe) anschlusszubefördern bzw. die Kosten hierfür zu übernehmen.
"Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Fluggast im Fall der Umleitung seines Fluges und dessen Landung auf einem Flughafen, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, die Übernahme der Kosten für die Beförderung zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder gegebenenfalls zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit ihm vereinbarten Zielort von sich aus anbieten muss."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19
Verstoß gegen Kostentragungspflicht
Bietet das ausführende Luftfahrunternehmen Passagieren, die statt zu ihrem planmäßigen, zu einem nehegelegenen Flughafen befördert werden, keine Anschlussbeförderung an ihren planmäßigen Zielflughafen an, führt dieses Versäumnis nicht automatisch zu einer Ausgleichspflicht gem. Art. 7 Abs. 1, sondern lediglich zu einem Anspruch des Fluggastes nach nationalem Recht auf Erstattung erforderlicher Mehrkosten, die ihm dadurch entstehen, dass er sich diese Beförderung selbst organisiert, indem er sich beispielsweise ein Taxi nimmt.
"Art. 8 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 ist dahin auszulegen, dass der Verstoß des ausführenden Luftfahrtunternehmens gegen seine Pflicht zur Übernahme der Kosten für die Beförderung eines Fluggastes vom Ankunftsflughafen entweder zu dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen oder zu einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem Fluggast vereinbarten Zielort dem Fluggast keinen Anspruch auf eine pauschale Ausgleichszahlung nach Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung verleiht. Hingegen begründet dieser Verstoß einen Anspruch des Fluggastes auf Erstattung der von ihm aufgewendeten Beträge, die sich in Anbetracht der dem jeweiligen Fall eigenen Umstände als notwendig, angemessen und zumutbar erweisen, um das Versäumnis des Luftfahrtunternehmens auszugleichen."
EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19