Gesetzestext
(1) Diese Verordnung gilt
a) für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, einen Flug antreten;
b) sofern das ausführende Luftfahrtunternehmen ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft ist, für Fluggäste, die von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats, das den Bestimmungen des Vertrags unterliegt, antreten, es sei denn, sie haben in diesem Drittstaat Gegen- oder Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen erhalten.
(2) Absatz 1 gilt unter der Bedingung, dass die Fluggäste
a) über eine bestätigte Buchung für den betreffenden Flug verfügen und - außer im Fall einer Annullierung gemäß Artikel 5 - sich
- wie vorgegeben und zu der zuvor schriftlich (einschließlich auf elektronischem Wege) von dem Luftfahrtunternehmen, dem Reiseunternehmen oder einem zugelassenen Reisevermittler angegebenen Zeit zur Abfertigung einfinden
oder, falls keine Zeit angegeben wurde,
- spätestens 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit zur Abfertigung einfinden oder
b) von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen von einem Flug, für den sie eine Buchung besassen, auf einen anderen Flug verlegt wurden, ungeachtet des Grundes hierfür.
(3) Diese Verordnung gilt nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Sie gilt jedoch für Fluggäste mit Flugscheinen, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.
(4) Diese Verordnung gilt nur für Fluggäste, die von Motorluftfahrzeugen mit festen Tragflächen befördert werden.
(5) Diese Verordnung gilt für alle ausführenden Luftfahrtunternehmen, die Beförderungen für Fluggäste im Sinne der Absätze 1 und 2 erbringen. Erfuellt ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das in keiner Vertragsbeziehung mit dem Fluggast steht, Verpflichtungen im Rahmen dieser Verordnung, so wird davon ausgegangen, dass es im Namen der Person handelt, die in einer Vertragsbeziehung mit dem betreffenden Fluggast steht.
(6) Diese Verordnung lässt die aufgrund der Richtlinie 90/314/EWG bestehenden Fluggastrechte unberührt. Diese Verordnung gilt nicht für Fälle, in denen eine Pauschalreise aus anderen Gründen als der Annullierung des Fluges annulliert wird.
Kommentierung
Abs. 1
Lediglich Zwischenlandung innerhalb der Gemeinschaft
Erfolgt bei einem einheitlich gebuchten Flug mit Umsteigen lediglich die Zwischenlandung auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedsstaats, befinden sich also der erste und der letzte Flughafen jeweils in einem Drittstaat, findet die Verordnung keine Anwendung.
"Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass diese Verordnung auf eine einheitlich gebuchte, aus zwei Teilflügen bestehende Flugverbindung mit Anschlussflug, bei der die Teilflüge von einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft durchzuführen sind, nicht anwendbar ist, wenn sich sowohl der Abflughafen des ersten Teilflugs als auch der Ankunftsflughafen des zweiten Teilflugs in einem Drittstaat befinden und nur der Flughafen, auf dem die Zwischenlandung erfolgt, im Gebiet eines Mitgliedstaats liegt."
Die Anwendbarkeit der Verordnung ist in dem Fall auch dann nicht gegeben, wenn eines der ausführenden Luftfahrtunternehmen seinen Sitz innerhalb der Gemeinschaft hat. Beispiel: Bucht der Fluggast einen Flug von einem Flughafen in Japan aus zu einem Flughafen in die USA mit Umstieg auf einem Flughafen in Deutschland, findet die Verordnung selbst dann keine Anwendung, sollte ausführend für beide Teilflüge mit der Deutschen Lufthansa AG ein Luftfahrtunternehmen mit Sitz in der Gemeinschaft sein.
Abs. 1 Buchst. a
Störung auf Teilflug außerhalb der Gemeinschaft
Kommt es bei einem Flug mit Umsteigen, der im Gebiet eines Mitgliedstaats beginnt und außerhalb der Gemeinschaft endet, zur Störung (Annullierung, Verspätung, Nichtbeförderung etc.) auf einem Teilflug, der außerhalb der Gemeinschaft beginnt und endet, findet die EU-VO auch dann Anwendung, wenn ausführend für diesen Flugabschnitt ein Unternehmen ist, das seinen Sitz in einem Drittstaat hat. Voraussetzung ist, dass sämtliche Flugabschnitte Teil einer einheitlichen Buchung sind; vgl. bei „direkten Anschlussflügen“ Kommentierung zu Art. 2 Buchst. h.
"Art. 3 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit den Art. 6 und 7 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass einem Fluggast eines Fluges mit Umsteigen – der zwei Teilflüge umfasst und Gegenstand einer einzigen Buchung bei einem Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft war – von einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaats zu einem Flughafen eines Drittstaats mit Zwischenlandung auf einem anderen Flughafen dieses Drittstaats ein Ausgleichsanspruch gegen ein Luftfahrtunternehmen eines Drittstaats, das den gesamten Flug im Namen des Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft handelnd durchgeführt hat, zusteht, wenn dieser Fluggast sein Endziel mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden erreicht hat, die ihre Ursache im zweiten Teilflug hat."
EuGH, Urteil v. 7. April 2022, C‑561/20
Bei Flügen aus der Gemeinschaft hinaus, ist der Ort, an dem es zur Störung kommt, für die Frage der Anwendbarkeit der Verordnung ohne Bedeutung; EuGH, Urteil v. 7. April 2022, C‑561/20, Rn. 30.
Abs. 2 Buchst. a
Bestätigte Buchung
Begriff der „bestätigten Buchung“ ist nicht definiert. Wohl aber Begriff der „Buchung“ in Art. 2 Buchst. g als der „Umstand, dass der Fluggast über einen Flugschein oder einen anderen Beleg verfügt, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde“.
Bordkarte
Eine Bordkarte kann einen „anderen Beleg“ darstellen, aus dem hervorgeht, dass Fluggast über eine Buchungsbestätigung verfügt. Das Luftfahrtunternehmen hat aber die Möglichkeit, den Nachweis zu erbringen, dass trotz Vorlage der Bordkarte ausnahmsweise keine Buchungsbestätigung vorliegt.
"Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. g und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen sind, dass eine Bordkarte einen „anderen Beleg“ im Sinne der erstgenannten Bestimmung darstellen kann, aus dem hervorgeht, dass die Buchung von dem Luftfahrtunternehmen oder dem Reiseunternehmen akzeptiert und registriert wurde, so dass davon auszugehen ist, dass ein Fluggast, der über eine Bordkarte verfügt, eine „bestätigte Buchung“ im Sinne der letztgenannten Bestimmung für den betreffenden Flug hat, wenn kein besonderer, außergewöhnlicher Umstand nachgewiesen wird."
EuGH, Urteil v. 6. März 2025, C‑20/24, Rn. 33
Beleg des Reiseunternehmens
Beleg eines Reiseunternehmens, das dem Fluggast einen – durch die Flughäfen, die Flugzeiten und Flugnummer – individualisierten Flug verspricht, stellt eine „bestätigte Buchung“ im Sinne dieser Norm dar. Das gilt selbst dann, wenn das ausführende Luftfahrunternehmen dem Reiseunternehmen die Flugzeiten nicht bestätigt hat.
"Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass der Fluggast über eine „bestätigte Buchung“ im Sinne dieser Bestimmung verfügt, wenn er von dem Reiseunternehmen, mit dem er in einer Vertragsbeziehung steht, einen „anderen Beleg“ im Sinne von Art. 2 Buchst. g der Verordnung erhalten hat, durch den ihm die Beförderung auf einem bestimmten, durch Abflug- und Ankunftsort, Abflug- und Ankunftszeit und Flugnummer individualisierten Flug versprochen wird; dies gilt auch dann, wenn das Reiseunternehmen von dem betreffenden Luftfahrtunternehmen keine Bestätigung in Bezug auf die Abflug- und Ankunftszeit dieses Fluges erhalten hat."
EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑146/20, C‑188/20, C‑196/20 und C‑270/20
Im vom EuGH zu entscheidenden Fall verfügte der Fluggast über einen Beleg des Reiseunternehmens, in dem Flugzeiten genannt waren, deren Änderung es sich vorbehielt. Später teilte das ausführende Luftfahrtunternehmen dem Reiseunternehmen veränderte Flugzeiten mit, die es aber nicht an den Fluggast weiterreichte. Dieser verfügte aus Sicht des Gerichtshofs über eine bestätigte Buchung über einen Flug zu den ihm genannten Zeiten.
Einfinden zur Abfertigung
Fluggast muss sich – außer im Falle der Annullierung seines Fluges – zur vorgegebenen Zeit, falls keine Zeit angegeben wurde, 45 Minuten vor der veröffentlichten Abflugzeit, am Flughafen einfinden, „genauer gesagt bei einem Vertreter des ausführenden Luftfahrtunternehmens“; EuGH, Urteil v. 25. Januar 2024, C‑474/22, Rn. 21. Das gilt auch dann, wenn er sich vor seiner Anreise zum Flughafen online registriert hat („Online-Check-in“).
Große Verspätung des Fluges
Auch im Falle einer großen Verspätung, daher bei einem zu erwartenden Zeitverlust des Fluggastes von drei Stunden oder mehr, muss sich der Fluggast rechtzeitig zur abfertigung einfinden, um insbesondere die Ausgleichszahlung zu erhalten.
"Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
ist dahin auszulegen, dass
ein Fluggast, um die in Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehene Ausgleichszahlung im Fall einer großen Verspätung eines Fluges, d. h. einer Verspätung von drei Stunden oder mehr gegenüber der von dem Luftfahrtunternehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit, zu erhalten, sich rechtzeitig zur Abfertigung eingefunden haben muss oder, wenn er sich bereits online registriert hat, sich rechtzeitig am Flughafen bei einem Vertreter des ausführenden Luftfahrtunternehmens eingefunden haben muss."
EuGH, Urteil v. 25. Januar 2024, C‑474/22
Vorweggenommene Beförderungsverweigerung
Wird dem Fluggast die Beförderung bereits im Vorfeld verweigert – z.B. durch Umbuchung gegen seinen Willen -, braucht er sich über den Wortlaut der Verordnung hinaus nicht zur Abfertigung einfinden. Das ergebe sich laut EuGH aus der teleologischen sowie systematischen Auslegung v. Art. 4 Abs. 3 sowie Art. 3 Abs. 2 Buchst. a; EuGH, Urteil v. 26. Oktober 2023, C‑238/22, Rn. 38. Er braucht also nicht am Flughafen zu erscheinen.
Abs. 3
Verordnung gilt ausnahmsweise nicht für Fluggäste, die kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisen, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist. Ausnahme von der Ausnahme: Kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reisende Passagiere verfügen über Flugscheine, die im Rahmen eines Kundenbindungsprogramms oder anderer Werbeprogramme von einem Luftfahrtunternehmen oder Reiseunternehmen ausgegeben wurden.
Fluggast zahlt lediglich Luftverkehrssteuern & Gebühren
Zahlt Fluggast lediglich Luftverkehrssteuern & Gebühren, reist er nicht „kostenlos“ i.S.d. VO. Entsprechend findet die VO Anwendung. Eine solche Auslegung des nicht definierten Begriffs erfordert Verordnungs-Ziel, ein hohes Schutzniveau sicherzustellen.
"Art. 3 Abs. 3 Satz 1 erste Variante der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91
ist dahin auszulegen, dass
ein Fluggast nicht kostenlos im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er für seine Buchung ausschließlich Luftverkehrsteuern und Gebühren zu entrichten hatte."
EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑516/23
Begrenztes Angebot, das sich an bestimmte Berufsgruppe wendet
Verordnung ist bei einem Angebot, kostenlos oder zu einem ermäßigten Tarif zu reisen, anwendbar, falls die begünstigte Gruppe von Personen unter den Begriff „Öffentlichkeit“ fällt. Dieser umfasst eine unbestimmte Zahl möglicher Adressaten und setzt im Übrigen recht viele Personen voraus. Wesentliches Kriterium ist mit dem EuGH, „ob das Luftfahrtunternehmen eine einzelfallbezogene Zustimmung vor Ausstellung des Beförderungsscheins vorsieht“; EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑516/23, Rn. 35. In dem dort entschiedenen Fall, waren Angehörige der Gesundheitsberufe ohne einzelfallbezogene Zustimmung berechtigt, den vergünstigten Tarif zu nutzen. Entsprechend war der Tarif der Öffentlichkeit zugänglich und die VO anwendbar.
"Art. 3 Abs. 3 Satz 1 zweite Variante der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
ein Fluggast nicht zu einem für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbaren reduzierten Tarif im Sinne dieser Bestimmung reist, wenn er seinen Flugschein im Rahmen einer Werbeaktion gebucht hat, die zeitlich sowie hinsichtlich der Menge der angebotenen Flugscheine begrenzt war und sich an eine bestimmte Berufsgruppe richtete."
EuGH, Urteil v. 16. Januar 2025, C‑516/23
Pauschalreise
Zahlt der Reiseveranstalter dem ausführenden Luftfahrtunternehmen ein marktübliches Entgelt für den Fluggast, reist dieser nicht kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif i.S. der Norm. Er gelangt also in den Anwendungsbereich der VO. An dieser Wertung ändert sich auch dann nichts, wenn den Preis der Pauschalreise nicht der Fluggast selbst, sondern ein Dritter für ihn an den Reiseveranstalter gezahlt hat.
"Nach alledem ist auf die dritte bis fünfte Frage zu antworten, dass Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 261/2004 dahin auszulegen ist, dass ein Fluggast nicht als im Sinne dieser Bestimmung kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif, der für die Öffentlichkeit nicht unmittelbar oder mittelbar verfügbar ist, reisend gilt, wenn zum einen das Reiseunternehmen den Flugpreis an das ausführende Luftfahrtunternehmen zu marktüblichen Bedingungen zahlt und zum anderen der Preis für die Pauschalreise nicht vom Fluggast, sondern von einem Dritten an das Reiseunternehmen gezahlt wird."
EuGH, Urteil v. 6. März 2025, C‑20/24
Beweislast
Beweisbelastet dafür, dass der Fluggast kostenlos oder zu einem reduzierten Tarif reist und entsprechend auch nicht in den Anwendungsbereich der VO gelangt, ist das ausfühende Luftfahrtunternehmen.
"Das Luftfahrtunternehmen muss nach den im nationalen Recht vorgesehenen Modalitäten beweisen, dass der Fluggast kostenlos oder zu einem solchen reduzierten Tarif gereist ist."
EuGH, Urteil v. 6. März 2025, C‑20/24