Gesetzestext
(1) Ist für ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nach vernünftigem Ermessen absehbar, dass Fluggästen die Beförderung zu verweigern ist, so versucht es zunächst, Fluggäste gegen eine entsprechende Gegenleistung unter Bedingungen, die zwischen dem betreffenden Fluggast und dem ausführenden Luftfahrtunternehmen zu vereinbaren sind, zum freiwilligen Verzicht auf ihre Buchungen zu bewegen. Die Freiwilligen sind gemäß Artikel 8 zu unterstützen, wobei die Unterstützungsleistungen zusätzlich zu dem in diesem Absatz genannten Ausgleich zu gewähren sind.
(2) Finden sich nicht genügend Freiwillige, um die Beförderung der verbleibenden Fluggäste mit Buchungen mit dem betreffenden Flug zu ermöglichen, so kann das ausführende Luftfahrtunternehmen Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigern.
(3) Wird Fluggästen gegen ihren Willen die Beförderung verweigert, so erbringt das ausführende Luftfahrtunternehmen diesen unverzüglich die Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 und die Unterstützungsleistungen gemäß den Artikeln 8 und 9.
Kommentierung
Abs. 3
Vorweggenommene Beförderungsverweigerung
Wird dem Fluggast die Beförderung bereits im Vorfeld verweigert, braucht er sich entgegen des Wortlauts von Art. 2 Buchst. j nicht am Flugstein einzufinden. Dies folgt aus der systematischen und teleologischen Auslegung der Norm. Er wird hierzu regelmäßig auch gar nicht in der Lage sein, da der Fluggast eine Bordkarte benötigt, um zum Abfluggate zu gelangen, die er aber nicht erhält, wenn er von der Passagierliste gestrichen wurde.
"Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs‑ und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
ein ausführendes Luftfahrtunternehmen, das einen Fluggast im Voraus darüber unterrichtet hat, dass es ihm gegen seinen Willen die Beförderung auf einem Flug verweigern werde, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, dem Fluggast eine Ausgleichszahlung leisten muss, selbst wenn er sich nicht unter den in Art. 3 Abs. 2 der Verordnung genannten Bedingungen am Flugsteig eingefunden hat."
EuGH, Urteil v. 26. Oktober 2023, C‑238/22
Unzutreffende Unterrichtung des Reiseveranstalters über Annullierung
Wird Fluggast vom Veranstalter einer Pauschalreise darüber unterrichtet, dass sein Flug vom Luftfahrtunternehmen annulliert wurde, während er in Wahrheit durchgeführt wird, und erscheint er deswegen nicht zur Abfertigung, liegt eine Nichtbeförderung vor. Das gilt auch dann, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht dazu beigetragen hat, dass der Fluggast falsch informiert wurde.
"Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 in Verbindung mit Art. 2 Buchst. j der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
ein Fluggast, der im Rahmen einer Pauschalreise eine bestätigte Buchung für einen Flug hatte, vom ausführenden Luftfahrtunternehmen die Ausgleichsleistung im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Verordnung verlangen kann, wenn der Reiseveranstalter dem Fluggast – ohne zuvor das Luftfahrtunternehmen hierüber zu informieren – mitgeteilt hat, dass der ursprünglich vorgesehene Flug nicht durchgeführt werde, obwohl dieser wie vorgesehen stattfand."
EuGH, Urteil v. 17. Oktober 2024, C‑650/23 und C‑705/23
Ausgleichsanspruch auch bei frühzeitiger Beförderungsverweigerung
Erfolgt die Weigerung, den Fluggast zu befördern, zwei Wochen oder mehr vor der geplanten Durchführung des Fluges, entbindet dies das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht von seiner Pflicht zur Ausgleichszahlung. Die Regelung des Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i, die eine Ausnahme von der Ausgleichspflicht bei Annullierungen vorsieht, ist nicht analog auf den Tatbestand der Nichtbeförderung anzuwenden. Der Grundsatz der Gleichbehandlung werde, so der EuGH, nicht verletzt, da „die Situationen, die zu Nichtbeförderungen oder zu Flugannullierungen führen, insoweit nicht vergleichbar sind“; EuGH, Urteil v. 26. Oktober 2023, C‑238/22, Rn. 48.
"Art. 5 Abs. 1 Buchst. c Ziff. i der Verordnung Nr. 261/2004
ist dahin auszulegen, dass
diese Bestimmung, die eine Ausnahme vom Ausgleichsanspruch der Fluggäste im Fall der Annullierung eines Fluges vorsieht, nicht den Fall regelt, dass ein Fluggast mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde, so dass ihm ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung im Sinne von Art. 4 der Verordnung zusteht."
EuGH, Urteil v. 26. Oktober 2023, C‑238/22