Artikel 5 – Annullierung

(1) Bei Annullierung eines Fluges werden den betroffenen Fluggästen

a) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 8 angeboten,

b) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 2 angeboten und im Fall einer anderweitigen Beförderung, wenn die nach vernünftigem Ermessen zu erwartende Abflugzeit des neuen Fluges erst am Tag nach der planmäßigen Abflugzeit des annullierten Fluges liegt, Unterstützungsleistungen gemäß Artikel 9 Absatz 1 Buchstaben b) und c) angeboten und

c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf Ausgleichsleistungen gemäß Artikel 7 eingeräumt, es sei denn,

i) sie werden über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet, oder

ii) sie werden über die Annullierung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen, oder

iii) sie werden über die Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet und erhalten ein Angebot zur anderweitigen Beförderung, das es ihnen ermöglicht, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und ihr Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen.

(2) Wenn die Fluggäste über die Annullierung unterrichtet werden, erhalten sie Angaben zu einer möglichen anderweitigen Beförderung.

(3) Ein ausführendes Luftfahrtunternehmen ist nicht verpflichtet, Ausgleichszahlungen gemäß Artikel 7 zu leisten, wenn es nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.

(4) Die Beweislast dafür, ob und wann der Fluggast über die Annullierung des Fluges unterrichtet wurde, trägt das ausführende Luftfahrtunternehmen.

Begriff der Annullierung

Zum Begriff der Annullierung: Kommentierung zu Art. 2 Buchst. l.

Abs. 1 Buchst. c – Ausgleichszahlung

Ziff i – Unterrichtung zwei Wochen vorher

Unterrichtung betroffener Fluggäste

Entscheidend für die Frage, ob (rechtzeitig) über die Annullierung unterrichtet worden ist, was dazu führen kann, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen von seiner Pflicht zur Ausgleichszahlung befreit ist, ist, dass die Information über die Streichung seines Fluges den betroffenen Fluggast erreicht hat. Es reicht nicht aus, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen lediglich den Vermittler (rechtzeitig) über die Annullierung unterrichtet, über den der betroffene Fluggast seinen Flug gebucht hat, falls dieser seinerseits den Fluggast nicht (rechtzeitig) unterrichtet; EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑263/20. Ausnahme: Der Fluggast hat diesen Vermittler ausdrücklich ermächtigt, entsprechende Informationen vom ausführenden Luftfahrtunternehmen anzunehmen und an ihn weiterzureichen.

"[Es ist] davon auszugehen [...], dass ein Fluggast, der über einen Vermittler einen Flug gebucht hat, nicht über die Annullierung dieses Fluges unterrichtet wurde, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen die Verständigung von der Annullierung dem Vermittler, über den der Vertrag über die Beförderung im Luftverkehr mit dem Fluggast geschlossen wurde, mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit übermittelt hat, der Vermittler den Fluggast aber nicht innerhalb der in der genannten Bestimmung vorgesehenen Frist über die Annullierung unterrichtet hat und der Fluggast den Vermittler nicht ausdrücklich ermächtigt hat, die vom ausführenden Luftfahrtunternehmen übermittelten Informationen entgegenzunehmen"; EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑263/20.

Zeitpunkt der Unterrichtung

Entscheidend für den Zeitpunkt der Unterrichtung ist nicht, wann das ausführende Luftfahrunternehmen eine entsprechende E-Mail absendet, sondern ob und ggf. wann der betroffene Fluggast über die Annullierung tatsächlich informiert wird. Das gilt auch für den Fall, dass das Luftfahrtunternehmen gar nicht weiß, dass die bei der Buchung hinterlegte E-Mail-Adresse lediglich den Vermittler erreicht, über den die Buchung des Fluges vorgenommen wurde, und dieser die Mitteilung nicht an den Fluggast weiterreicht; EuGH, Beschluss v. 27. September 2022, C‑307/21.

"das ausführende Luftfahrtunternehmen [ist] verpflichtet [...], die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausgleichszahlungen im Fall einer Flugannullierung, über die der Fluggast nicht mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet worden ist, zu leisten, wenn das Luftfahrtunternehmen die Information rechtzeitig an die einzige ihm bei der Buchung mitgeteilte E‑Mail‑Adresse gesandt hat, ohne indes zu wissen, dass über diese Adresse nur der Reisevermittler, über den die Buchung vorgenommen worden war, und nicht unmittelbar der Fluggast erreicht werden konnte, und der Reisevermittler die Information dem Fluggast nicht rechtzeitig übermittelt hat"; EuGH, Beschluss v. 27. September 2022, C‑307/21. 

Keine Anwendbarkeit auf Nichtbeförderung gem. Art. 4 Abs. 3

Ausnahmeregelung, wonach keine Ausgleichszahlung zu leisten ist, sofern Fluggast mindestens zwei Wochen vor der geplanten Abflugzeit informiert wird, kann nicht über den Wortlaut hinaus auf den Fall der Nichtbeförderung gem. Art. 4 Abs. 3 übertragen werden; EuGH, Urteil v. 26. Oktober 2023, C‑238/22.

"diese Bestimmung, die eine Ausnahme vom Ausgleichsanspruch der Fluggäste im Fall der Annullierung eines Fluges vorsieht, [regelt ] nicht den Fall [...], dass ein Fluggast mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit darüber unterrichtet wurde, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen ihn gegen seinen Willen nicht befördern werde, so dass ihm ein Ausgleichsanspruch wegen Nichtbeförderung im Sinne von Art. 4 der Verordnung zusteht"; EuGH, Urteil v. 26. Oktober 2023, C‑238/22.

Ziff. 3 – Unterrichtung über Annullierung weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit

Zeitverlust am Endziel

Sonderfall Ausweichlandung auf Flughafen, der denselben Ort, dieselbe Stadt oder Region bedient

Endet der Flug statt auf dem planmäßigen auf einem Flughafen am selben Ort, in derselben Stadt oder Region liegt keine Annullierung vor; vgl. Kommentierung zu Art. 2 l. Ob dennoch ein Ausgleichsanspruch besteht, bestimmt sich letztlich nach Verspätungsgesichtspunkten. Der Zeitverlust bestimmt sich in dem Fall nicht danach, wann betroffene Passagiere den Ausweichflughafen erreichen. Vielmehr danach, wann sie mittels Anschlussbeförderung (Taxi, Bahn, Bus, Flugzeug, Schiff usw.) entweder am planmäßigen Zielflughafen oder aber an einem sonstigen, nahegelgenen Zielort eintreffen, den sie gem. Art. 8 Abs. 3 mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen vereinbart haben; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19.

"für die Ermittlung des Ausmaßes der Ankunftsverspätung, die ein Fluggast erleidet, dessen Flug umgeleitet wurde und der auf einem Flughafen gelandet ist, der zwar nicht dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen entspricht, aber denselben Ort, dieselbe Stadt oder dieselbe Region bedient, [ist] auf den Zeitpunkt abzustellen [...], an dem der Fluggast – nach Beendigung seiner Anschlussbeförderung – an dem in der ursprünglichen Buchung vorgesehenen Zielflughafen bzw. gegebenenfalls einem sonstigen nahe gelegenen, mit dem ausführenden Luftfahrtunternehmen vereinbarten Zielort tatsächlich ankommt", EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19.
Beispiel:

Gebucht ist Flug von Frankfurt am Main nach Paris-Charles-de-Gaulle (CDG). Flug endet aber stattdessen in Paris-Orly (ORY), wo Fluggast zwei Stunden später eintrifft, als er in CDG hätte eintreffen sollen. Da wegen Art. 8 Abs. 3 keine Annullierung vorliegt, besteht Ausgleichspflicht erst ab drei Stunden. Maßgeblich ist nicht die Ankunftszeit am Ausweichflughafen ORY, sondern die des Fluggastes mittels Anschlussbeföderung in CDG (oder an einem anderen mit dem Luftfahrtunternehmen abgesprochenen Ort). Wird Fluggast also per Taxi nach CDG gefahren, trifft dort aber zumindest drei Stunden später als ursprünglich geplant ein, hat er grundsätzlich Anspruch auf eine Ausgleichszahlung.

Verspätung gem. Art. 6

Zeitverlust am Endziel

Selbstgebuchter Ersatzflug

Erleidet der Fluggast deswegen keinen relevanten Zeitverlust am Endziel von mind. drei Stunden, weil er sich selbst einen Ersatzflug bucht, besteht kein Ausgleichsanspruch; EuGH, Urteil v. 25. Januar 2024, C‑54/23.

"ein Fluggast, der wegen drohender großer Verspätung des Fluges, für den er über eine bestätigte Buchung verfügt, bei der Ankunft am Endziel oder wegen hinreichender Anhaltspunkte für eine solche Verspätung selbst einen Ersatzflug gebucht hat und das Endziel mit einer Verspätung von weniger als drei Stunden gegenüber der planmäßigen Ankunftszeit des ersten Fluges erreicht hat, [kann] keinen Ausgleichsanspruch im Sinne dieser Bestimmungen haben"; EuGH, Urteil v. 25. Januar 2024, C‑54/23.

Abs. 3 – außergewöhnliche Umstände

„Zumutbare Maßnahmen“ schließen frühestmögliche Ersatzbeförderung ans Endziel ein

Das Tatbestandsmerkmal der „zumutbaren Maßnahmen“ ist nicht auf die Vermeidung der Annullierung/großen Verspätung beschränkt. Vielmehr erfordert die „Sorgfalt, die von dem Luftfahrtunternehmen verlangt wird, damit es sich von seiner Verpflichtung zu Ausgleichszahlungen befreien kann, […] dass es alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, um eine zumutbare, zufriedenstellende und frühestmögliche anderweitige Beförderung sicherzustellen. Dazu gehört die Suche nach anderen direkten oder indirekten Flügen, die gegebenenfalls von anderen Luftfahrtunternehmen, die derselben Fluggesellschaftsallianz angehören oder auch nicht, durchgeführt werden und mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankommen“; EuGH, Beschluss v. 14. Januar 2021, C-264/20, Rn. 30. Entsprechend hat der EuGH entschieden, dass sich ein ausführendes Luftfahrtunternehmen nur dann auf außergewöhnliche Umstände berufen darf, wenn es von einer Annullierung/großen Verspätung betroffenen Passagieren die frühestmögliche Ersatzbeförderung an ihr Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen anbietet. Dabei darf es sich grundsätzlich nicht auf eigene Flüge oder solche des eigenen Konzerns oder der eigenen Luftfahrtallianz beschränken. Gibt es eine direkte oder indirekte Verbindung auf dem Luftwege, die den betroffenen Fluggast mit einem geringeren Zeitverlust als die nächste eigene verfügbare Verbindung an sein Endziel bringt, ist ihm diese anzubieten. Unterlässt das ausführende Luftfahrtunternehmen ein solches Angebot, ist es selbst dann zur Ausgleichszahlung verpflichtet, wenn die Annullierung/große Verspätung selbst Folge eines anerkannten außergewöhnlichen Umstands ist. Ausnahme: Das Unternehmen weist nach, dass ein solches Angebot „angesichts der Kapazitäten […] zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer“ darstellen würde.

"die von einem Luftfahrtunternehmen im Fall der Annullierung des ursprünglich geplanten Fluges aufgrund außergewöhnlicher Umstände durchgeführte anderweitige Beförderung eines Fluggasts mit einem Flug, mit dem der Fluggast sein Endziel am Tag nach dem ursprünglich geplanten Ankunftstag erreicht, [stellt] eine 'zumutbare Maßnahme' [dar], die dieses Unternehmen von seiner in Art. 5 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 dieser Verordnung vorgesehenen Ausgleichspflicht befreit, es sei denn, es bestand eine andere Möglichkeit einer anderweitigen direkten oder indirekten Beförderung mit einem von ihm selbst oder einem anderen Luftfahrtunternehmen durchgeführten Flug, der mit weniger Verspätung als der nächste Flug des betreffenden Luftfahrtunternehmens ankam, außer dieses weist nach, dass die Durchführung einer solchen anderweitigen Beförderung für es angesichts der Kapazitäten seines Unternehmens zum maßgeblichen Zeitpunkt ein nicht tragbares Opfer dargestellt hätte, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat"; EuGH, Beschluss v. 14. Januar 2021, C-264/20. 

Außergewöhnliche Umstände auf Vorflügen

Außergewöhnliche Umstände können sich auf spätere Flüge derselben Maschine erstrecken. Voraussetzung ist, dass ein „unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieses Umstands“ und der Annullierung/großen Verspätung des späteren Fluges besteht; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19. Eine besondere Bedeutung kommt dabei dem Betriebsmodus der eingesetzten Maschine zu, daher der Frage, ob es sich um einen planmäßigen Umlauf der Maschine für die entsprechenden Flüge handelt.

"ein ausführendes Luftfahrtunternehmen [kann sich], um sich von seiner Pflicht zu befreien, Fluggästen bei erheblich verspäteter Ankunft ihres Fluges Ausgleichszahlungen zu leisten, auf einen außergewöhnlichen Umstand berufen [...], der nicht den verspäteten Flug, sondern einen vorangegangenen Flug betroffen hat, den es selbst mit demselben Flugzeug im Rahmen von dessen Vorvorvorrotation durchgeführt hat, sofern ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieses Umstands und der erheblich verspäteten Ankunft des späteren Fluges besteht, was das vorlegende Gericht insbesondere unter Berücksichtigung des Betriebsmodus des betreffenden Flugzeugs durch das betreffende ausführende Luftfahrtunternehmen zu beurteilen hat"; EuGH, Urteil v. 22. April 2021, C-826/19.

Entscheidung bezieht sich auf eine Verspätung, ist aber auf den Fall der Annullierung eines Vorflugs infolge außergewöhnlicher Umstände übertragbar.

Beispiele für Umstände, die außergewöhnlich sind

Kollision eines Fremd-Flugzeugs mit parkender Maschine

Kollidiert ein Flugzeug einer anderen Fluggesellschaft mit der parkenden Maschine des ausführenden Luftfahrtunternehmens, begründet dies einen außergewöhnlichen Umstand; EuGH, Beschluss v. 14. Januar 2021, C-264/20. Entscheidend ist, dass es sich um ein Ereignis handelt, auf das das ausführende Luftfahrtunternehmen keinen Einfluss hat, wenn die eigene Maschine ordnungsgemäß auf der zugewiesenen Position geparkt wird. Unerheblich ist in dem Zusammenhang, ob die Kollision tatsächlich zu einem Schaden an der Maschine führt, da die mögliche Pflicht zur Ausgleichszahlung das ausführende Luftfahrtunternehmen nicht motivieren soll, auf eine sicherheitsrelevante technische Untersuchung der betroffenen Maschine zu verzichten; EuGH, Beschluss v. 14. Januar 2021, C-264/20, Rn. 25.

"eine Kollision zwischen dem Höhenruder eines Flugzeugs in Parkposition und dem Winglet eines Flugzeugs einer anderen Fluggesellschaft, die durch die Bewegung des zweiten Flugzeugs verursacht wurde, [fällt] unter den Begriff der 'außergewöhnlichen Umstände' im Sinne dieser Bestimmung"; EuGH, Beschluss v. 14. Januar 2021, C-264/20. 

Beschädigte Reifen nach Vollbremsung wegen Vogelschlags

Werden Reifen der Maschine infolge einer Vollbremsung beschädigt, die Folge eines Vogelschlags ist, liegt ein außergewöhnlicher Umstand vor; EuGH, Beschluss v. 3. Oktober 2022, C‑302/22.

"der wegen eines Vogelschlags erfolgte Abbruch des Startvorgangs eines Flugzeugs durch eine Vollbremsung, durch die die Reifen des Flugzeugs beschädigt werden, [fällt] unter den Begriff 'außergewöhnlicher Umstand'“ ;  EuGH, Beschluss v. 3. Oktober 2022, C‑302/22.

Ausfall der Betankungsanlage des Flughafens

Ausfall der vom Flughafen betriebenen Betankungsanlage ist weder Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines ausführenden Luftfahrtunternehmens noch tatsächlich von ihm zu beherrschen und stellt daher keinen außergewöhnlichen Umstand dar; EuGH, Urteil v. 7. Juli 2022, C‑308/21.

"ein allgemeiner Ausfall der Treibstoffversorgung [kann] als 'außergewöhnlicher Umstand' im Sinne dieser Bestimmung angesehen werden [...], wenn der Ausgangsflughafen der betroffenen Flüge oder des betroffenen Flugzeugs für die Verwaltung des Treibstoffsystems der Flugzeuge verantwortlich ist"; EuGH, Urteil v. 7. Juli 2022, C‑308/21.

Beispiele für Umstände, die nicht außergewöhnlich sind

Tod oder Krankheit eines unverzichtbaren Besatzungsmitglieds

Der kurzfristige Ausfall eines unverzichtbaren Besatzungsmitglieds stellt keinen außergewöhnlichen Umstand dar, da er „Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens ist, so dass dieses bei der Planung der Einsätze und der Arbeitszeiten seiner Beschäftigten mit solchen unvorhergesehenen Ereignissen rechnen muss“; Urteil, EuGH v. 11. Mai 2023, C‑156/22 bis C‑158/22, RN. 23. Unerheblich in diesem Zusammenhang ist, ob das erkrankte oder verstorbene Besatzungsmitglied vorgeschriebene medizinische Untersuchungen bestanden hat, da Menschen „jederzeit unerwartet erkranken oder versterben“ können; Urteil, EuGH v. 11. Mai 2023, C‑156/22 bis C‑158/22, RN. 24.

"die unerwartete Abwesenheit eines für die Durchführung eines Fluges unverzichtbaren Besatzungsmitglieds aufgrund von Krankheit oder Tod, die kurz vor dem planmäßigen Abflug eintritt, [fällt] nicht unter den Begriff 'außergewöhnliche Umstände' im Sinne dieser Vorschrift"; Urteil, EuGH v. 11. Mai 2023, C‑156/22 bis C‑158/22.

Gewerkschaftlich organisierter Streik des eigenen Personals

Streikt das eigene Personal infolge eines gewerkschaftlich organisierten Streiks, werden keine außergewöhnlichen Umstände begründet; EuGH, Beschluss v. 10. Januar 2022, C‑287/20.

"infolge des Streikaufrufs einer Gewerkschaft von Flugbegleitern und Piloten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen zur Durchsetzung der Forderungen dieser Arbeitnehmer [fallen] nicht unter den Begriff 'außergewöhnliche Umstände' im Sinne dieser Bestimmung [...]; ob Verhandlungen mit Arbeitnehmervertretern vorausgegangen sind, ist insoweit unerheblich"; EuGH, Beschluss v. 10. Januar 2022, C‑287/20.

Das gilt insbesondere auch dann, wenn es sich um einen nach nationalem Recht regulären Streik handelt; EuGH, Urteil v. 23. März 2021, C-28/20.

"durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen, bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts – insbesondere die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist – beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine oder mehrere der für die Durchführung eines Fluges erforderlichen Beschäftigtengruppen anschließen, nicht unter den Begriff 'außergewöhnlicher Umstand' im Sinne dieser Vorschrift fallen"; EuGH, Urteil v. 23. März 2021, C-28/20. 

Streik des eigenen Personals aus Solidarität mit Streik bei Muttergesellschaft und über angekündigte Dauer hinaus, obwohl mit Muttergesellschaft Einigung bereits erzielt wurde

Dass ein Streik der Belegschaft des ausführenden Luftfahrtunternehmens aus Solidarität mit dem Streik der Belegschaft der Muttergesellschaft geführt wird, ändert nichts daran, dass es Teil der normalen Tätigkeit eines Unternehmens ist, sich mit Arbeitskonflikten auseinanderzusetzen, zumal sich die Konzernpolitik auf die des ausführenden Luftahrtunternehmens auswirken kann; EuGH, Urteil v. 6. Oktober 2021, C-613/20, Rn. 23. Ein solcher Streik bleibt auch für das ausführende Luftfahrtunternehmen tatsächlich beherrschbar. EuGH, Urteil v. 6. Oktober 2021, C-613/20, Rn. 24. Hieran ändert nicht entscheidend etwas, dass der Streik der Belegschaft des ausführenden Luftfahrtunternehmens länger als angekündigt dauert – und zudem über eine Einigung hinaus, die mit der Muttergesellschaft zwischenzeitlich erzielt wurde; EuGH, Urteil v. 6. Oktober 2021, C-613/20, Rn. 32.

"Streikmaßnahmen zur Durchsetzung von Gehaltsforderungen und/oder Sozialleistungen der Beschäftigten, die durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens aus Solidarität mit einem Streik eingeleitet wurden, der gegen die Muttergesellschaft geführt wird, zu deren Tochtergesellschaften dieses Unternehmen gehört, an denen sich eine für die Durchführung eines Fluges unerlässliche Beschäftigtengruppe dieser Tochtergesellschaft beteiligt und die über die ursprünglich von der zum Streik aufrufenden Gewerkschaft angekündigte Dauer hinaus fortgeführt werden, obwohl inzwischen eine Einigung mit der Muttergesellschaft erzielt wurde, [fallen] nicht unter den Begriff 'außergewöhnliche Umstände' im Sinne dieser Bestimmung"; EuGH, Urteil v. 6. Oktober 2021, C-613/20.

Regelung beschränkt auf Ausgleichszahlung

Regelung ist auf Ausgleichszahlung beschränkt. Sie erstreckt sich insbesondere nicht auf die übrigen Verpflichtungen des ausführende Luftfahrunternehmens, etwa auf jene aus Artikel 8 (Anspruch auf Erstattung oder anderweitige Beförderung). Das gilt selbst im Fall „besonders außergewöhnlicher“ Vorkommnisse (Covid-19, Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull). Außergewöhnliche Umstände, egal wie langwierig, können mithin lediglich die Ausgleichspflicht entfallen lassen;

Abs. 4 – Beweislast für Unterrichtung des Fluggastes

Kein Rückgriff auf andere Rechtsnormen

Die Einhaltung der Verpflichtung, betroffene Fluggäste innerhalb bestimmter Fristen über die Annullierung ihres Fluges unterrichtet zu haben, was dazu führen kann, dass das Luftfahrtunternehmen keine Ausgleichszahlung zu leisten braucht, bestimmt sich ausschließlich nach diesem Absatz sowie Anhand von Abs. 1 Buchst. c. Nationale Normen, die etwa eine Zugangsvermutung enthalten, ändern mithin nichts daran, dass das ausführende Luftfahrtunternehmen die Beweislast dafür trägt, dass und ggf. wann der Fluggast über die Annullierung seines Fluges unterrichtet wurde; EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑263/20.

"Die Einhaltung der Verpflichtung, den Fluggast rechtzeitig über die Annullierung seines Fluges zu unterrichten, ist ausschließlich anhand von Art. 5 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 261/2004 in Verbindung mit deren Art. 5 Abs. 4 zu beurteilen"; EuGH, Urteil v. 21. Dezember 2021, C‑263/20.